Daten für Pharma
Das jüngst im Bundestag beschlossene Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) greift zu kurz: Es lässt forschende Pharmaunternehmen außen vor, wenn es um den Rahmen für die Nutzung von Patientendaten zu Forschungszwecken geht. Das verzögert die Entwicklung neuer Therapien.
Von Andreas Gerber
Angesichts des neuen Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) liegt es nahe, sich nochmals die seit vielen Jahren andauernde Debatte ins Gedächtnis zu rufen, die hierzulande über die Digitalisierung des Gesundheitswesens geführt wird. Sie trägt in Teilen, um es vorsichtig zu formulieren, eigenartige Züge. Während der Rest der Welt über die Chancen redet, die sich aus neuen Technologien und Algorithmen für Patienten und Ärzte ergeben, sind wir in Deutschland hauptsächlich damit beschäftigt, Bedenken zu tragen. Überspitzt formuliert: Wäre für jede öffentliche Erwähnung des Schreckgespenstes „gläserner Patient“ ein Euro in das deutsche Gesundheitswesen geflossen, müssten wir uns um dessen Finanzierung keine Sorgen mehr machen. Die Pseudonymisierung und Sicherheit der verwendeten Daten sind fraglos Grundvoraussetzung für eine verantwortungsvolle Forschung. Beides darf jedoch nicht als Totschlagargument gegen eine systematische Datenerfassung und -auswertung missbraucht werden.
CHANCEN DER DIGITALISIERUNG
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich stets gegen diese sehr deutsche Art der Betrachtung von Digitalisierung gestemmt. „Datensammeln ist ja kein Selbstzweck, sondern dient dazu, kranken Patienten besser zu helfen oder Krankheiten vorzubeugen“, sagte Spahn schon im Mai 2015, lange vor seiner Ernennung zum Minister. Das 2016 erschienene Buch „App vom Arzt“, an dem Spahn als Autor beteiligt war, trägt den Untertitel „Bessere Gesundheit durch digitale Medizin“.
Man kann dem Bundesminister also wahrhaftig keine Fortschrittsfeindlichkeit vorwerfen. Herr Spahn weiß um die Chancen, die aus der Digitalisierung für Ärzte und Patienten erwachsen. Und er möchte sie nutzen. In diesem Sinne ist das neue Gesetz ausdrücklich zu begrüßen.
In einem entscheidenden Punkt aber greift das DVG zu kurz. Es verspielt die Chancen, die Möglichkeiten, die moderne Datenverarbeitung für die Forschung und Entwicklung neuer Therapien bereithält. Das ist von großem Nachteil für den Pharmastandort Deutschland, für die Forschung und Entwicklung hierzulande und nicht zuletzt auch für Patienten und Ärzte.
PHARMAFIRMEN OHNE DATENZUGRIFF
Aus Anlass der Gesetzesvorlage betonte der Bundesminister:
„Die Medizin der Zukunft ist auf Daten angewiesen.“
Als Geschäftsführer eines pharmazeutischen Unternehmens, das wissensbasiert arbeitet, kann ich ihm nur zustimmen. Medizinischer Fortschritt braucht Daten. Für uns bei Janssen gehört der verantwortungsvolle Austausch von Daten schon seit Langem zu der in unserem Credo festgelegten Verantwortung gegenüber Patienten, Angehörigen, Ärzten, Pflegekräften und allen anderen Menschen, die unsere Medikamente und Services nutzen. Als erstes Unternehmen überhaupt haben wir schon 2014 eine Kooperation mit der Yale University geschlossen. Seitdem haben Wissenschaftler aus der ganzen Welt im Rahmen des YODA-Projekts (YODA = Yale Open Data Access-Project) strukturierten Zugang zu sämtlichen Daten aus unseren klinischen Studien. Dass der Schutz vertraulicher Patientendaten dabei oberste Priorität genießt, ist selbstverständlich.
Die Institutionen, die Daten nutzen, um durch sie einen Beitrag zum pharmazeutischen Fortschritt zu leisten, sind zahlreich. Das DVG listet sie im Zusammenhang mit dem „Forschungsdatenzentrum“ in § 303 e detailliert auf. Genannt werden unter anderen Krankenkassen, Institutionen der Gesundheitsversorgungsforschung, Hochschulen, das IQWiG, der G-BA, Ärztekammern und viele weitere verdiente Einrichtungen. Eine wichtige Gruppe, die über die vergangenen Jahrzehnte einen Beitrag von vergleichbarer Bedeutung für den medizinischen Fortschritt geleistet hat, findet sich auf der Liste der „Nutzungsberechtigten“ jedoch nicht: die pharmazeutischen Unternehmen.
Forschende Arzneimittelhersteller beschäftigen allein in Deutschland gut 17.000 hervorragend ausgebildete Forscher und Entwickler. Die Pipeline-Investitionen der Unternehmen hierzulande beliefen sich auf mehr als sechs Milliarden Euro (Daten des vfa).
Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Im Jahr 2018 haben forschende Pharmaunternehmen in Deutschland 36 neue Medikamente auf den Markt gebracht (ohne Biosimilars), darunter zwölf gegen Krebs- und zehn gegen Stoffwechselerkrankungen. Hinzu kamen neue Darreichungsformen für bereits zugelassene Medikamente (ebenfalls vfa).