Die überforderte Politik
Von Dr. Stephan Balling
Ein Essay über die längst fällige, nächste große Revolution.
Nein, ganz abschreiben sollte man die Politik noch nicht. Immer wieder funken Erkenntnisblitze auf, die einen fast schon staunen lassen. Zwar verliert sich die bundesdeutsche Politik seit Jahren zwischen Grundrente und Details zur Pflegeversicherung, zwischen Pendlerpauschale und Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags meist im umverteilungspolitischen Klein-Klein. Aber immer mal wieder schimmert doch durch, dass der ein oder andere in Parlament, Regierung und Parteiführung verstanden hat, in welch epochalem Umbruch die Welt sich befindet und wie sehr es für Deutschland eigentlich an der Zeit ist, die Transformation aktiv mitzugestalten.
Wie groß die Aufgabe hierzulande ist, fasste der Ministerpräsident Bayerns, Dr. Markus Söder, im November auf dem CDU-Bundesparteitag in seinem Grußwort zusammen: Die eigentliche Frage sei nicht, ob chinesische oder amerikanische Telefonausrüster das künftige deutsche 5-G-Netz aufbauten, sondern warum es nur Cisco und Huawei als Anbieter gebe, aber keinen europäischen, geschweige denn einen deutschen.
Der alte Kontinent hat in entscheidenden Technologien den Anschluss verloren, Nokia ist out, die Deutsche Telekom von den Chinesen abhängig. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte Ende 2018 bei seiner Bewerbungsrede für den CDU-Vorsitz, ein deutsches Stanford für künstliche Intelligenz (KI), eine Universität also in der Bundesrepublik, die in der internationalen Hightechwelt und Forschung ganz oben mitspielt. Woher das entsprechende Stiftungskapital von 15 Milliarden Euro dafür kommen soll, ließ Spahn offen. Immerhin: In Bayern will Ministerpräsident Söder bis 2023 für neue KI-Lehrstühle zwei Milliarden Euro ausgeben. Damit verdient er sich das Attribut „nett“. Mehr leider nicht, denn zum Vergleich: China will bis 2030 umgerechnet 150 Milliarden Euro in KI-Forschung investieren.
Setzen sich Köpfe wie Söder oder Spahn durch und findet sich jemand in der Politik, der deren Parteitagsreden zu Ende denkt und die sich daraus ergebenden Schlüsse zum Regierungshandeln formt? Der aufflammende Populismus scheint in eine andere Richtung zu deuten. Demokratisch legitimierte Politik scheint derzeit unvereinbar mit grundlegenden Debatten, gesellschaftlichen Zukunftsvisionen oder gar technologischem Leadership. Andere sind gefordert. Entrepreneure, Manager, Persönlichkeiten mit Rückgrat und Visionen. Die digitale Transformation, die Vernetzung der Welt in den zurückliegenden 40 Jahren, geht vor allem zurück auf visionäre Unternehmer. Bill Gates hatte die Idee, dass in jedem Haushalt ein Computer steht. Mit Marc Andreessens erstem Internetbrowser Netscape sollte jeder einen einfachen Zugang zum Internet erhalten. Larry Page hat mit Google das Finden von Informationen vereinfacht. Steve Jobs formte mit dem iPhone letztlich einen Computer für die Hosentasche, der den Zugang zu Informationen und Kommunikation von überall auf der Welt möglich machte. Elon Musks Paypal revolutionierte den Zahlungsverkehr. Mit Marc Zuckerbergs Facebook verlagerte sich die menschliche Kommunikation zu erheblichen Teilen in die digitalen sozialen Netzwerke.
Die digitale Revolution trieben Unternehmer, nicht Politiker voran. Und diese Unternehmer gehen auch die Probleme der Welt an, die letztlich immer auch ihre Organisationen betreffen. Um die ökologische Herausforderung anzugehen, versprach Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns Evonik, jüngst in der „Süddeutschen Zeitung“: „Wir werden unsere CO2-Emissionen schneller halbieren, als es die Bundesregierung für ganz Deutschland plant.“ Das ist gut, vorbildhaft, reicht aber nicht. Wirtschaftsführer wie Kullmann müssen auch stärker die gesellschaftliche Debatte mitprägen. Sicher, Kullmann, der kurz nach Erscheinen des Interviews zum Präsidenten des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) gekürt wurde, nahm kein Blatt vor den Mund, als er die Klimaaktivistin Greta Thunberg kritisierte, ihre Äußerungen als „mitunter unverfroren“ bezeichnete. Aber wo bleibt die öffentliche Investitionsagenda der deutschen Industrie für neue Technologien im Kampf gegen den Klimawandel? Nur mit innovativen Sprüngen wird sich die Erderwärmung eindämmen lassen und hierfür tragen vor allem Manager und Unternehmer Verantwortung.
- Teil 1: Die überforderte Politik
- Teil 2: Nur wer in Ökosystemen und Wertschöpfungsketten denkt, besteht im Wettbewerb