Dr. Rainer Pöltz: „Die Weiterbildungsanstrengungen reichen nicht aus! „
Microsoft ist nicht mehr nur Tech-Unternehmen, sondern weitet auch sein Lernangebot stark aus. Dr. Rainer Pöltz, Leiter des Area Transformation Teams bei Microsoft Deutschland, warnt im Interview vor einer großen Weiterbildungslücke in Deutschland. Er erklärt, warum das Tech-Unternehmen jedes Quartal einen ganzen Tag nur fürs Lernen blockt – und warum es bei Führungskräften trotz zunehmender Digitalisierung derzeit vor allem auf soziale und nicht auf technische Fähigkeiten ankommt.
Interview: Hendrik Bensch
Herr Pöltz, digitale Tools sind in den vergangenen Jahren in der Weiterbildung und Qualifizierung immer wichtiger geworden – und diese Entwicklung dürfte sich durch die Corona- Pandemie noch weiter verstärken. Wenn Sie einen Blick nach vorn wagen: Welche Zukunftstrends sehen Sie rund um Weiterbildung und Qualifizierung?
Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass das Thema Aus- und Weiterbildung immer wichtiger wird. Die Innovationsgeschwindigkeit nimmt massiv zu: in Schlüsselindustrien wie der IT, im Gesundheitswesen, aber auch in sehr konservativen Branchen wie der Versicherungswirtschaft. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen deshalb Unternehmen ihre Mitarbeiter stetig weiterbilden. Mittelfristig werden Unternehmen mit besseren Weiterbildungsangeboten dann auch besser im Wettbewerb dastehen.
Und wie werden Unternehmen in Deutschland Ihrer Einschätzung nach diesen steigenden Anforderungen bislang gerecht?
Die Ausgaben zur betrieblichen Weiterbildung in Deutschland stagnieren ja eher. Wir beobachten, dass das Weiterbildungstempo hinter der Innovationsgeschwindigkeit zurückbleibt. Wir laufen deshalb in Deutschland in ein strukturelles Problem hinein. Denn wenn die Weiterbildung nicht Schritt hält, entstehen Engpässe. Und die sehen wir jetzt schon: So lässt sich etwa die Nachfrage nach qualifiziertem IT-Personal bei Weitem nicht abdecken. Der Branchenverband Bitkom schätzt, dass 80.000 offene IT-Stellen nicht besetzt werden können – und das ist aus unserer Sicht noch eine konservative Schätzung. Wenn ich mir die Nachfrage bei unseren Partnerunternehmen anschaue, sind es noch viel mehr: Dort könnten Hunderttausende spezialisierte, gut ausgebildete Mitarbeiter sofort unterkommen. Unterm Strich heißt das: Die Weiterbildungsanstrengungen reichen nicht aus! Und das hat auch eine volkswirtschaftliche Komponente. Deutschland riskiert im Ländervergleich an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, etwa bei der IT. Da wandern Arbeitsplätze in Länder mit gut ausgebildeten Fachkräften und niedrigerem Lohnniveau ab – nach Indien, aber auch in die EU-Nachbarschaft, wie etwa nach Rumänien.
Wie wird sich das schnellere Innovationstempo darüber hinaus auswirken?
Da die Innovationszyklen immer kürzer werden, muss man stärker als bisher auf praxisorientierte Konzepte bei der Weiterbildung setzen. Es macht keinen Sinn, auf Halde zu lernen – also auf Themen zu setzen, die mittelfristig wichtig werden könnten. Vielmehr muss es um Themen gehen, die aktuell relevant sind.
Welche weiteren Trends sehen Sie in der Weiterbildung?
Es wird in Zukunft immer stärker darauf ankommen, stärker interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Denn Innovation geht an den Schnittstellen zwischen verschiedenen Disziplinen wesentlich schneller voran als in einem einzelnen Bereich. Und diese Zusammenarbeit muss man trainieren. Nehmen wir zum Beispiel das Gesundheitswesen. Mittlerweile ist es möglich, mithilfe von Mixed-Reality Herz-Operationen noch besser umzusetzen – die Verwendung von Holografien unterstützt bei der Operation. Für solche Anwendungen muss Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenkommen, unter anderem Programmierkenntnisse und Anatomiewissen. Und dazu müssen Mitarbeiter aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenarbeiten.
Alles wird digitaler: Müssen sich deshalb jetzt auch Führungskräfte in höheren Managementpositionen Programmierkenntnisse aneignen, um ein Grundverständnis davon zu bekommen?
Ich glaube, eine Führungskraft in einer höheren Managementposition braucht eine gute Bodenhaftung: Sie muss ein gutes Verständnis dafür haben, womit sich die Mitarbeiter beschäftigen. Wer in einem Bereich arbeitet, in dem viel programmiert wird, sollte deshalb auch ein Grundverständnis zu Programmierthemen haben. Man sollte also zum Beispiel wissen, wie bestimmte Programmierverfahren aussehen oder wie das Testen der Programme im Team genau funktioniert. Das heißt aber nicht, dass die Führungskraft selbst viel Zeit mit Coden verbringen müsste.
Auf welche Fähigkeiten kommt es sonst in Zeiten zunehmender Digitalisierung an?
Eine große Herausforderung in der derzeitigen Corona-Lage ist, dass viele Führungskräfte ihre Mitarbeiter nicht persönlich treffen können, weil sie von zu Hause aus arbeiten. Führungskräfte müssen deshalb lernen, wie sie aus der Ferne ihre Mitarbeiter führen – und das mit Empathie.
Was ist dabei wichtig?
Einer Führungskraft muss bewusst sein, dass die Mitarbeiter ihre Arbeitssituation sehr unterschiedlich wahrnehmen. Für einen Mitarbeiter mit kleinen Kindern zu Hause ist es eine ganz andere Situation als für einen Digital Native, für den das digitale Arbeiten aus der Ferne nichts Neues ist. Wichtig ist es, feinfühlig vorzugehen und sich Zeit zu nehmen, um auf die Befindlichkeiten der Mitarbeiter einzugehen.
In der derzeitigen Lage kommt es also besonders auf soziale Kompetenzen an – gar nicht so sehr auf technische. Wie sieht es aus, wenn wir ein bisschen in die Zukunft blicken: Welche digitalen Fähigkeiten müssen Führungskräfte da mitbringen?
Es gibt bestimmte Bereiche, wo Technologiewissen sehr wichtig wird: zu Schlüsseltechnologien wie KI, Mixed Reality und in fernerer Zukunft Quantencomputing. Das sind Bereiche, in denen man sich anstrengen muss, um auf dem Laufenden zu bleiben und die Chancen zu nutzen. Grundsätzlich glaube ich, dass unser Arbeitsleben auch mittelfristig nicht wieder so sein wird wie vor der Coronakrise. Es wird deutlich flexibler in Teams, aus der Ferne und agil zusammengearbeitet werden, eher projektorientiert. Und dazu müssen die Mitarbeiter dann auch die entsprechenden Fähigkeiten mitbringen. Die Corona-Pandemie beschleunigt diese Entwicklung, aber auch ohne das Virus würden diese Veränderungen wegen der gestiegenen Innovationsgeschwindigkeit auf uns zukommen.
Wie organisieren Sie bei Microsoft intern die Weiterbildung?
Zum einen haben wir das Thema stark im Unternehmen institutionalisiert: Wir haben eine Chief Learning Officer, die unsere Aktivitäten in Deutschland organisiert – auch weltweit gibt es eine eigene Learning-Organisation. Wenn die Mitarbeiter in einem Unternehmen gut lernen sollen, braucht man solche Fachleute im eigenen Unternehmen, die sich um das Thema kümmern. Jeder Mitarbeiter bei Microsoft bekommt einen Skill-Plan.
Wie sieht der aus?
In dem Plan sind verpflichtende sowie optionale Trainings festgelegt sowie Empfehlungen. Zur Umsetzung werden entsprechend Lernzeiten eingeplant – diese kann sich jeder so einteilen, wie es für ihn passt. Durch den Skill-Plan weiß jeder Mitarbeiter, welche Kurse mit welchem Zeitumfang er im nächsten halben Jahr absolvieren muss. So hat jeder genügend Vorlauf, um gut planen zu können. Trotzdem kann es dann natürlich passieren, dass wegen wichtiger aktueller Aufgaben im Tagesgeschäft mal eine Einheit wegfällt. Deswegen haben wir auch „Learning Days“ eingeführt.
Was passiert an diesen Tagen?
Einmal im Quartal ist für alle Mitarbeiter ein Tag komplett für Lernaktivitäten geblockt. Manche nutzen ihn, um Pflichttrainings durchzuarbeiten. Andere nutzen ihn, um Dinge zu lernen, die abseits ihres Tagesgeschäfts liegen. Dazu zählen industriespezifische, technologische oder betriebswirtschaftliche Themen. Bei jedem Learning Day gibt es auch immer Vorträge von Mitarbeitern für Mitarbeiter. Dadurch bekommt man zusätzliches Praxiswissen von den Kollegen.
Zur Person: Dr. Rainer Pöltz leitet das Area Transformation Team bei Microsoft Deutschland. In dieser Funktion treibt der promovierte Mathematiker die Veränderungs- und Transformationsprozesse im Unternehmen voran. Der 58-Jährige ist seit 20 Jahren bei Microsoft Deutschland tätig. In dieser Zeit leitete er unter anderem sechs Jahre lang den Geschäftsbereich Banken und Versicherungen.
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