Einheitliche Digitalisierungslösung statt kleinteiligen Inselkonzepten

Krankenhausträger sollten die Corona-Krise nutzen, um ihre digitale Infrastruktur auszubauen. Das Krankenhauszukunftsgesetz setzt dafür wichtige Impulse – auch wenn man einige Elemente des Gesetzes kritisch sehen kann. Auch der Abbau der Sektorengrenzen lässt noch viel Spielraum für Verbesserungen. Dabei gilt es, vor allem einen neuen hybriden Zwischensektor einzuführen.

von Prof. Dr. Bernd Halbe

Die Corona-Krise zeigt einen erheblichen Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung deutscher Krankenhäuser auf. Insgesamt wurde in den letzten Jahren entschieden zu wenig in eine moderne technische Ausstattung der Krankenhäuser investiert. Zukünftig wird die Digitalisierung sich als fester Bestandteil der sektorenübergreifenden Versorgung etablieren (müssen). Damit dient die Corona-Krise als Katalysator. Krankenhausträger sollten die Corona-Krise nutzen, um ihre digitale Infrastruktur auszubauen. Nicht nur, um in pandemische Lagen flexibler agieren zu können, sondern auch, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Oktober 2020 hat der Gesetzgeber mit dem Krankenhauszukunftsgesetz Fördermittel in Form eines Krankenhauszukunftsfonds implementiert, um wichtige Impulse bei Innovation und Modernisierung zu setzen und den Digitalisierungsambitionen der deutschen Krankenhauslandschaft einen Anschub zu geben. Konkret geht es um Investitionen in moderne Notfallkapazitäten, eine bessere digitale Infrastruktur und die IT-Sicherheit. Das Fördervolumen des Bundes beläuft sich auf eine Summe von drei Milliarden Euro. Zusätzlich sollen die Länder/Träger insgesamt 1,3 Milliarden Euro aufbringen. Diese Finanzspritze kann von den Krankenhäusern zum Beispiel dafür verwendet werden, Pflege- und Behandlungsleistungen digital zu dokumentieren, Patientenportale einzurichten oder die notwendigen telemedizinischen Netzwerkstrukturen zu schaffen.

Angesichts der Vielzahl von modernisierungsbedürftigen Kliniken bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit die Fördersumme dem tatsächlichen Förderungsbedarf gerecht werden kann – und ob sie den Investitionsstau langfristig abbaut. Zwar kommt auf den ersten Blick viel Geld in das Gesundheitssystem. Die Ausschüttung läuft aber nach dem Gießkannenprinzip. Kritisch ist insbesondere zu sehen, dass nach Möglichkeit die Krankenhausträger/Länder 30 Prozent der Kosten eines jeden Förderprojekts selbst zu tragen haben. Angesichts leerer Kassen braucht es nicht viel Fantasie zur Beantwortung der Frage, zugunsten welcher Kliniken sich die Länder bei mehreren gleichwertigen Förderanträgen entscheiden werden.

Grundsätzlich soll der Krankenhauszukunftsfonds die Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) im Alltag etablieren. Ein Krankenhaus, das keine Digitalisierungsprozesse auf Basis der TI vorweisen kann, erhält zum einen kein Geld. Zum anderen muss es einen Abschlag von bis zu zwei Prozent auf die Abrechnung aller voll- und teilstationären Fälle ab 2025 hinnehmen. Eine Drohkulisse mit Sanktionsszenario. Der Krankenhauszukunftsfonds entpuppt sich damit als ein Krankenhaus-Digitalisierungsfonds: Er schreibt verbindlich vor, die Anwendungen der TI zu nutzen und soll auf diese Weise die TI-Applikationen etablieren. Kliniken sollten nun zügig handeln. Förderanträge können bis zum 31.12.2021 durch die Länder beim Bundesamt für Soziale Sicherung gestellt werden.

Zugleich steht das Gesundheitssystem erst am Anfang der digitalen Transformation. Um die Arbeit von ärztlichem und pflegerischem Personal und von Gesundheitsämtern wirklich spürbar zu erleichtern, muss der Datenaustausch untereinander vereinheitlicht und vereinfacht werden. Für die Innovationsförderung bedarf es daher einer einheitlichen Digitalisierungslösung anstelle von kleinteiligen Inselkonzepten. Auch gilt es, die digitale Infrastruktur in Deutschland selbst voranzutreiben. Dabei hat die Corona-Krise den Finger an der richtigen Stelle in die Wunde gelegt, wie die mannigfaltigen analogen Fallstricke derzeit belegen. Digitale Innovation wird in den Krankenhäusern erst dann flächendeckend gelebt werden können, wenn die notwendige IT-Infrastruktur landesweit vorhanden ist. Ein weiteres wichtiges Mittel hierfür wird die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte sein.

Neben der Digitalisierung bleibt auch der Abbau der Sektorengrenzen auf der politischen Agenda. Seit mehreren Jahren verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu flexibilisieren und Möglichkeiten sektorenübergreifender Kooperationen auszuweiten und zu optimieren. Zudem soll die patientenbezogene Versorgung unabhängig von her-gebrachten Strukturen gefördert werden. Hierdurch sind immer mehr und immer differenziertere Möglichkeiten der ambulanten Leistungserbringung für Krankenhäuser entstanden. Kliniken können sich auf diese Weise zusätzliche Einnahmequellen erschließen und ihre Einrichtungen besser auslasten. Nicht erst seit dieser Legislaturperiode wird eine Agenda an Reformen abgearbeitet. Sie zielt auf Kostendämpfung im Gesundheitswesen durch eine bessere Zuordnung der Patienten in die jeweils geeignete Versorgungsebene. Sie ist somit auch ein groß angelegtes Qualitätssicherungsprogramm. Seit mehr als 30 Jahren wird über diese Art der sektorenübergreifenden Versorgung debattiert, wirklich flächendeckend sichtbar geworden ist sie bisher noch nicht.

Die Sektorengrenze zu überwinden ist derzeit nur rudimentär möglich. Es bedarf eines Komplettumbaus des Systems und insbesondere der Einführung eines neuen hybriden Zwischensektors: mit gleichen Vorgaben für Vertragsärzte sowie Krankenhäuser, um die Systemöffnung von ambulant zu stationär sowie vice versa zu ermöglichen. Dafür sind rechtliche Hindernisse zu beseitigen und ein einheitliches Vergütungssystem zu etablieren. Leistungen müssen einheitlich vergütet werden, egal „ob sie im Bett, am Bett oder ohne Bett“ erbracht werden, wie BKK-Dachverbandschef Franz Knieps es einmal ausdrückte. Dies darf zu keinen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, gerade auch um in der Folge Streitfälle mit den Kostenträgern zu minimieren.

Alternativ wäre auch im ländlichen Raum die Öffnung des ambulanten Versorgungsbereiches hin zu stationären Leistungen denkbar, wie etwa die Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 115b SGB V für ambulantes Operieren. Mithin bedarf es einer Regelung zur äußeren und inneren Struktur, um eine neue Nutzung der Krankenhäuser durch Vorhalten stationärer und ambulanter medizinischer Leistungen sowie sonstiger (Dienst-)Leistungen zu ermöglichen. Um der Daseinsfürsorge sowie der Prävention von Krisen gerecht zu werden, sind stationäre Kapazitäten unabdingbar vorzuhalten. Dies muss entsprechend vergütet werden. Dafür bedarf es aber zentraler und aufeinander abgestimmter Neuregelungen zu Leistungserbringung und Vergütungsstruktur. Dabei sind Lehren zu ziehen aus bisherigen Vorhaben. Einen sozialrechtlichen Flickenteppich gilt es zu vermeiden.

Zugangsvoraussetzungen für Kooperationen müssen heruntergeschraubt und uneffektive Regelungskomplexe abgeschafft werden. Die Ausgangslage ist derzeit extrem diffizil. Der Gesetzgeber operiert durch vielfältige „Reförmchen“ an dem rechtlichen Rahmenkonstrukt, was zu einer unübersichtlichen Struktur sowohl für Patienten als auch Leistungserbringer führt. Teilweise werden viel zu hohe formale Voraussetzungen für eine effektive Verzahnung abverlangt, wie beispielsweise in der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung.

Gedämpft wird die Ambulantisierung der stationären Versorgung durch eine uneinheitliche Vergütung. Ziel muss es aber sein, die ambulante und stationäre Versorgung in allen Regionen nach Facharztstandard sicherzustellen und durch neue Strukturen den potenziellen Wegfall kleiner Krankenhäuser zu kompensieren. Daher erscheint es zwingend notwendig, beispielsweise die Förderung der Praxiskliniken nach § 115 SGB V nicht mehr nur fakultativ auszugestalten, sondern Leistungserbringer und Kostenträger zu verpflichten, diesen Hybridsektor fest zu etablieren. Im Hinblick auf die Ankündigungen der Politik, zukünftig eine weitergehende Auflösung der Sektorengrenzen voranzutreiben und mit Blick auf den Fachkräftemangel eine weitere Spezialisierung und Zentrierung zu ermöglichen, sollten sich Krankenhausträger frühzeitig mit Chancen und Risiken der Ambulantisierung befassen. Deutschland hat ein Überangebot an (stationären) Alleskönnern. Dabei führt die Vergütung nach DRG zu der Losung: „Nur ein gefülltes Bett ist ein gutes Bett.“ Zielführender wäre es dagegen, stärker zwischen Hochleistungsmedizin und Grundversorgung zu unterscheiden.

Derzeit rettet die Corona-Finanzierung kleine Krankenhäuser in wirtschaftlicher Schieflage, die sich allerdings für die Versorgung als entbehrlich darstellen. Zukünftig werden sich daher mannigfaltige Aufgaben für die Politik ergeben, um die Krankenhauslandschaft genesen zu lassen. Dazu gehört, Betten und auch Standorte zu reduzieren. Und dazu zählt auch, dort, wo ein Krankenhaus nicht mehr wirtschaftlich erscheint, gezielter Kapazitäten in Form von Gesundheitszentren oder Praxiskliniken vorzuhalten, um auch der Daseinsvorsorge ausreichend Rechnung zu tragen. Essenziell wird dabei sein, die Vergütungsstruktur an-zupassen, damit die Krankenhäuser nicht mit Blick auf die Fallpauschalen suchen sich auszulasten. Schließlich muss auch die Frage diskutiert werden, wie das Verhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit zu gewichten ist, und gegebenenfalls auch inwieweit nicht nur eine Nachjustierung, sondern eine Neuausrichtung erforderlich ist.

Prof. Dr. Bernd Halbe, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Honorarprofessor der Universität zu Köln, Justiziar mehrerer Verbände


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