Frauen sind in der deutschen Gründerszene nach wie vor in der Minderheit

Die meisten Start-ups werden von Männern gegründet. Dabei könnte gerade die Gesundheitsbranche von mehr weiblichem Engagement profitieren.

Von Melanie Croyé

Linda Weber geht es eigentlich nur um die Sache. Die gebürtige Münchenerin will Menschen helfen, die psychisch erkrankt sind, am besten mithilfe der Digitalisierung. Bereits für ihre Masterarbeit hat die heute 30-Jährige zunächst eine App für Soldaten mit Posttraumatischer Belastungsstörung entwickelt, dann ein neurologisches Spiel für Menschen mit Zwangsstörungen. Nach einem kurzen Ausflug in die Unternehmenswelt bei IBM, hat sie jetzt das nächste Problem in Angriff genommen: Sie will die Angst bezwingen. Ihr Start-up Mindable Health hat eine App für Menschen mit Panikstörungen herausgebracht, die sowohl während der Wartezeit auf einen Therapieplatz als auch begleitend zur Therapie verwendet werden kann. Damit hat die junge Unternehmerin jetzt schon einen Mehrwert geschaffen.

Worum es Linda Weber aber nicht geht, ist ihr Geschlecht. Sie weiß zwar, dass sie als Gründerin, gerade im Bereich Digital Health, eine Ausnahme ist. Das sollte ihrer Meinung nach aber keine Rolle spielen.

Doch so weit sind wir noch nicht. Frauen sind in der deutschen Gründerszene nach wie vor in der Minderheit. Gerade mal 15,1 Prozent der Start-ups werden laut dem jüngsten „Female Founders Monitor“ des Bundesverbands Deutsche Startups von Frauen gegründet, eine Studie der Boston Consulting Group kam im vorigen Jahr auf ähnliche Ergebnisse: Nur vier Prozent der Start-ups wurden seit 2008 hierzulande von Frauen gegründet, hinzu kommen immerhin zehn Prozent Mitgründerinnen. Das macht dennoch 86 Prozent an Start-ups, die  ohne weibliche Beteiligung gestartet wurden. Die Zahlen zeichnen ein düsteres Bild vom Gründerstandort Deutschland. Die hohe private Belastung scheint Frauen abzuschrecken, so die Autoren des Female Founders Monitors. „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt für Start-up-Gründerinnen eine große Rolle und hat deutlichen Einfluss auf ihre Arbeitsorganisation“, heißt es in dem Bericht. Zudem erhalten sie seltener eine Finanzierung durch Risikokapitalgeber. 

Die Zahlen zeigen aber noch mehr: Frauen gründen nicht nur seltener, sie gründen auch anders: Nur selten beschäftigen ihre Unternehmen mehr als zehn Mitarbeiter, oft gründen sie zudem sozial und damit orientiert an gesellschaftlichen Problemstellungen, wirtschaftliche Motive spielen bei ihnen weniger eine Rolle. „Für frauengeführte Start-ups steht die Stabilität des Unternehmens im Vordergrund, beim Thema Wachstum herrscht dagegen noch Zurückhaltung.“

Genau dieser Fokus auf soziale Problemstellungen könnte aber eigentlich die Stärke von Gründerinnen sein, vor allem im ohnehin männlich dominierten E-health-Bereich. Davon ist Professorin Sylvia Thun vom Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) überzeugt: „Frauen sind zu 70 Prozent die Anwenderinnen von digitalen Lösungen im Gesundheitsbereich. Wenn die Produkte jetzt auch noch entsprechend entwickelt würden, dann würden sie sich auch besser verkaufen.“ Für sie liegen die Stärken, die Frauen mitbringen, auf der Hand: „Sie bringen sich anders ein, kommunizieren und kollaborieren mehr, es geht ihnen weniger um Macht und mehr um Menschen, in diesem Fall also die Patienten.“ In der Gesundheitsbranche gehe es schließlich nicht bloß um ein Produkt im klassischen Sinne, sondern um die großen gesellschaftlichen Fragen „und da müssen Frauen mitbestimmen, mitführen und Produkte mit dem Fingerspitzengefühl einer Frau mitentwickeln“. 

Sie bedauert sehr, dass Frauen im Gesundheitswesen kaum etwas zu sagen haben, auch die Führungspositionen zu 90 Prozent durch Männer besetzt sind. „Ich sitze oft genug alleine mit lauter Männern in einem Raum“, moniert sie. Über den Grund dafür, hat sie sich schon oft Gedanken gemacht, aber kaum Antworten gefunden. Sie vermutet, dass es zu wenige weibliche Vorbilder gibt und den Frauen der Mut fehlt, eine neue Firma ins Leben zu rufen, anstatt sich anstellen zu lassen. Viele Start-ups sind zudem Technologieunternehmen. Dieser Tech-Aspekt könnte zusätzlich abschrecken, so Thun. 

Auch Maike Henningsen vom Digital Health-Inkubator Vision Health Pioneers sieht Gründerinnen vor allem in nicht ganz so technischen Bereichen. „Sie machen eher selten abstrakte KI-Entwicklung, sondern konzentrieren sich auf Themen wie FemCare, Female Health oder den Pflegebereich.“ Der Berliner Inkubator versucht trotzdem, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu finden. Henningsen, selbst Ärztin, weiß aber auch: „Ein Unternehmen zu gründen ist riskant und fordert viel Zeit. Das ist nichts, was man neben Kindern einfach so machen kann. Das schreckt viele ab.“ Zu sehr stecke die Gesellschaft noch im klassischen Modell fest, in dem Frauen in Teilzeit arbeiten und sich um die Kinder kümmern. 

Als weiteren Faktor nennt sie das hohe finanzielle Risiko, das Gründer eingehen. Viele Frauen suchten eher die Sicherheit einer Festanstellung und trauten sich selbst gerade in jungen Jahren nicht zu, ein Team zu führen. „Auf der anderen Seite bestehen viele Investorengruppen aus Männern – und die fördern dann auch gerne Männer“, erklärt Henningsen. Frauen hätten nicht nur oft eine andere Herangehensweise als Männer, sondern auch einen anderen Kommunikationsstil und würden von den männlichen Investoren dann falsch verstanden oder eingeschätzt. Das Ende vom Lied: Sie bekommen weniger Geld von Investoren und werden insgesamt seltener gefördert. 

Auch Linda Weber von Mindable hatte schon einmal das Gefühl, dass Männerteams bei der Vergabe von Stipendien bevorzugt werden, belegen kann und will sie das aber nicht. Sie selbst habe sonst kaum eine Benachteiligung erfahren. „Ich merke zwar, dass ich viel unter Männern bin, aber für mich steht außer Frage, dass Frauen erfolgreiche GründerInnen und fantastische Führungskräfte  sein können. Das hat wenig mit Geschlecht und viel mehr mit Persönlichkeit zu tun“, sagt die 30-Jährige. 

Sie wünscht sich, dass Mädchen schon im Kindesalter anders gefördert werden. Sie selbst wurde von ihren Eltern komplett angstfrei erzogen. Wenn sie sich etwas zutraute, dann haben ihre Eltern sie dabei unterstützt. „Mädchen müssen weniger dafür gelobt werden,  dass sie hübsch und brav sind, und mehr dafür, dass sie mutig sind“, fordert Weber. Man sollte sie auch ermutigen zu scheitern, denn so lerne man dazu. „Die Art und Weise, wie man an eine Sache herangeht hat nichts mit dem Geschlecht zu tun“, betont sie. Sie ärgert sich deshalb auch darüber, dass es in Förderprogrammen für Gründerinnen meistens vor allem um Coaching geht. Das sende eine falsche Botschaft aus: Nämlich dass Frauen sich ändern müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. „Am Ende des Tages braucht ein Start-up Geld, um erfolgreich zu sein, nicht nur Coaching“, so Weber.

Als Psychologin weiß sie, dass Menschen oft nach dem Prinzip der Ähnlichkeit handeln. Bei Investoren müsse deshalb mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie viel bei einer Entscheidung im Unbewussten mitschwingt. „Man bevorzugt immer die, die einem ähnlich sind. Wenn also viele Männer im Raum sind, werden auch Männer bevorzugt. Und andersrum.“  


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