Frisches Kapital
Investitionsmittel, Aufmerksamkeit und Tipps für das eigene Geschäftsmodell: Crowdinvesting kann für junge Unternehmen eine Finanzierungsform sein, die mehr bietet als nur Geld. Auch wenn sie wohl eine Nische bleiben wird.
Von Hendrik Bensch
Manchmal fließt das Geld sehr schnell. Ganze drei Stunden dauerte es, bis das junge Biotech-Unternehmen Oncgnostics auf der Online-Plattform Seedmatch die ersten 100.000 Euro bei Investoren eingesammelt hatte. Nach drei Wochen war das Jenaer Unternehmen am Ziel: 750.000 Euro hatten Kleinanleger bereitgestellt – und Oncgnostics hatte frisches Kapital, um seinen Gebärmutterhalskrebs-Test und den Vertrieb voranzubringen.
Crowdinvesting heißt die Finanzierungsform. Die Jenaer nutzten sie Ende 2017 zum zweiten Mal. Zumeist junge Unternehmen richten sich dabei über eine Online-Plattform an viele kleine Anleger, um an Geld für ihr Vorhaben zu gelangen. Im Gegenzug erhalten die Investoren eine Rendite in Form von festen oder variablen Zinsen. Manche bieten auch eine Ausschüttung an, falls später ein Großinvestor das Unternehmen übernehmen sollte.
Seit den zarten Anfängen zu Beginn dieses Jahrzehnts ist der Crowdinvesting-Markt in Deutschland kräftig gewachsen. Fast 300 Millionen Euro haben Plattformen im vergangenen Jahr hierzulande eingesammelt, hat das Branchenportal crowdfunding.de ermittelt. Die Wachstumsraten sind zwar nicht mehr die gleichen wie zu Beginn, doch auch von 2017 auf 2018 legte der Markt noch um fast 50 Prozent zu.
Die Schwarmfinanzierung ist damit zu einer Finanzierungsalternative für junge Unternehmen geworden, die Geld benötigen, aber keine Firmenanteile abgeben wollen. Der Großteil des Marktwachstums bei der Schwarm Finanzierung entfällt zwar auf Immobilien-Projekte. Jedoch steigt auch das Volumen bei der Finanzierung von Unternehmen kontinuierlich, so wie für Projekte aus dem Gesundheitswesen. Bislang flossen etwa sechs Millionen Euro in diesen Bereich. Und das für ganz unterschiedliche Projekte: von der Übernahme von Arztpraxen bis zur Finanzierung neuer Maschinen eines Medizinprodukte-Herstellers; von der App für die Anamnese bis hin zur Zulassung eines Generikums.
Oder wie bei Oncgnostics für einen Gebärmutterhalskrebs-Test. Bevor sich Geschäftsführer Alfred Hansel für diese Finanzierungsform entschied, hatte er bereits selber als Investor Geld in Crowdinvesting-Projekte gesteckt. Dann entschied er, ebenfalls mit seinem Unternehmen diese Möglichkeit zu nutzen. „Man kann damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“, sagt Hansel. „Ich kann Geld einwerben, ohne Unternehmensanteile abzugeben und gleichzeitig einen Werbe-Effekt erzielen.“
Oncgnostics ließ seine Kampagne über Seedmatch laufen. Die Crowdinvesing-Plattform ist in Deutschland einer der größten Anbieter, über die Unternehmen Geld für alle möglichen Branchen einwerben können. Daneben gibt es weitere wie etwa die GLS Crowd, Kapilendo oder bis vor Kurzem noch Companisto. Außerdem haben sich mit Aescuvest und Medifundo zwei Plattformen auf den Gesundheitssektor spezialisiert. Wer es nach den jeweiligen Auswahlverfahren auf eine der Plattformen schafft, erhält auch mit großer Wahrscheinlichkeit Geld: Bei etwa neun von zehn Kampangen gelingt die Finanzierung, hat eine aktuelle Untersuchung des Ifo-Instituts ergeben.
Auf Seedmatch sind bisher ein gutes Dutzend Kampagnen von Life-Science-Unternehmen gelaufen. „Bei den Anlegern ist die Nachfrage nach Investments aus diesem Bereich hoch“, sagt Seedmatch-Pressesprecherin Kirsten Petzold. Life-Science-Unternehmen erreichten oft sogar schneller als Unternehmen aus anderen Branchen ihre Zielsumme. Der Grund: „Neben dem reinen Investment möchten die Investoren auch das Gefühl haben, mit ihrem Investment etwas Gutes zu tun“, sagt Petzold.
Für junge Unternehmen kann Crowdinvestment eine Alternative zu Finanzierungen über Venture Capital sein. So wie beim Start-Up VisionHealth. Die Münchner haben eine App entwickelt, die Patienten mit Lungenerkrankungen wie Asthma oder COPD helfen soll, ihre Medikamente richtig einzunehmen. Venture-Capital-Fonds seien derzeit sehr zurückhaltend und schauten erst einmal, wer im Wettbewerb überlebe, sagt VisionHealth-Geschäftsführerin Sabine Häussermann. „Erst dann investieren sie“, so Häussermann. „Für uns war es über Crowdinvesting einfacher und weniger aufwendig, an Geld zu gelangen.“
Die Schwarm Finanzierung muss aber nicht die erste Wahl für Jungunternehmen sein. Nick Dimler etwa ist mit Blick auf diese Finanzierungsform zurückhaltend. Er berät Start-Ups und mittelständische Unternehmen unter anderem zu Finanzierungsfragen und lehrt als Professor für Entrepreneurship und Finanzen in Berlin. „Crowdinvesting ist ein Nischenmarkt, der ‚nieschig‘ geblieben ist“, sagt Dimler. Die Deutschen seien nunmal im Gegensatz etwa zu den Amerikanern wesentlich weniger risikobereit. Zudem sei die Schwarmfinanzierung für Unternehmen mit einem Business-to-Business-Geschäftsmodell oft nicht so gut geeignet. Denn der Marketing-Effekt kommt hier nicht so sehr zum Tragen wie bei Unternehmen mit einem Business-to-Consumer-Geschäftsmodell. Auch er werde zwar in der Beratung regelmäßig auf Crowdinvesting angesprochen. Häufig zeigten sich aber Alternativen auf, wie öffentliche Fördermittel oder die Unterstützung durch Business Angel – die dann auch ihr Wissen und ihr Netzwerk mit einbringen. „Das kann insbesondere im Gesundheitswesen bei komplexeren Produkten sehr hilfreich sein“, sagt Dimler.
Mit ihren Netzwerken werben hingegen auch die Plattformen für Schwarmfinanzierung. So hat etwa Aescuvest ein Netzwerk von Venture-Capital-Fonds und Business Angels, die eingebunden werden. Oder es gibt unter den Crowdinvestoren Business Angel, die später weitere Finanzierungsrunden ermöglichen.
Und manchmal hilft eine Kampagne auch dabei einen Venture-Capital-Fonds zu überzeugen. So war es beispielsweise beim Medizintechnik-Unternehmen Implandata. Die Hannoveraner haben einen implantierbaren Sensor entwickelt, durch den Patienten mit Grünem Star und deren Ärzte den Augeninnendruck kontrollieren können. Der Großteil der Investoren der Schwarm-Kampagne von Implandata bestand aus Augenärzten, einer der zentralen Zielgruppen des Unternehmens. Die Crowdinvesting-Kampagne sei somit ein guter Test dafür gewesen, ob das Produkt am Markt angenommen werde, erklärt Geschäftsführer Max Ostermeier. „Wir konnten damit zeigen: Wenn die Ärzte dafür in die eigene Tasche greifen, ist es ein heißes Thema.“ Die Nachfrage während der Kampagne hat somit auch die Venture-Capital-Finanzierung erleichtert.
Das Geld, das sich über die Plattformen einsammeln lässt, ist aber „kein billiges Geld“, sagt Alfred Hansel. Schließlich muss jedes Unternehmen seine Kampagne vorbereiten und Gebühren an die Plattform zahlen. Außerdem benötigt man für seine Kampagne ein eigenes Video, in dem das Vorhaben vorgestellt wird. Insgesamt kommen so Ausgaben in Höhe von 10 bis 15 Prozent des eingesammelten Kapitals zusammen, erklärt Hansel.
Für Unternehmen, die die Plattformen nutzen, geht es aber sowieso nicht ausschließlich darum, Geld einzusammeln. Die Schwarm Finanzierung müsse ohnehin keine Finanzierungslücke für Start-Ups schließen, da genug Geld für Frühphasen-Finanzierungen zur Verfügung stehe, sagt Lars Hornuf. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bremen und forscht seit vielen Jahren zu Crowdfinanzierungen. „Es hätte einen riesigen Schub neuer Start-Ups geben müssen, seitdem es die Schwarmfinanzierung gibt“, so Hornuf. „Das ist aber nicht passiert.“
Nein, nicht nur Geld, sondern vor allem auch Aufmerksamkeit versprechen sich die Jungunternehmen von den Kampagnen. Auf VisionHealth etwa kamen während der Kampagne sowohl lokale Medien als auch Fachmedien zu. Und daraus entstanden neue Kontakte und Einladungen zu Vorträgen. Nur auf die Plattformen darf man sich aber nicht verlassen, wenn man in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden will. „Die Plattform alleine ist kein reiner Selbstläufer“, erzählt Oncgnostics-Geschäftsführer Hansel. Eigene Pressearbeit, PR- und Marketingaktivitäten sind ein absolutes Muss. „Man muss bereit sein, selbst viel zu kommunizieren“, sagt VisionHealth-Geschäftsführerin Sabine Häussermann. Dies sei eine der entscheidenden Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kampagne.
Insbesondere zum Start kommt es darauf an, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Denn der Beginn ist sehr wichtig für den weiteren Verlauf. „Für eine erfolgreiche Kampagne braucht man am Anfang einen großen Push, bei dem viele Investoren aktiv werden“, sagt Lars Hornuf. Das ist ein Signal an andere, es ihnen gleich zu tun. Da verhält sich die Crowd wie eine Herde: Geht einer voran, folgen die anderen. Untersuchungen von Schwarm-Experte Hornuf unterstreichen das: Gab es anfangs einzelne große Investments von 5.000 oder sogar 10.000 Euro, saß das Geld bei anderen Kleinanlegern wesentlich lockerer als ohne diese Initialzündung, hat eine seiner Studien gezeigt.
Mehr Geld könnte künftig auch insgesamt in die Schwarm Finanzierungen fließen. Denn der Deutsche Bundestag hat im Mai die gesetzlichen Vorgaben für diese Finanzierungsform geändert. Ein Anleger kann nun bis zu 25.000 Euro pro Unternehmen investieren, bislang waren es 10.000 Euro. Unter den Investoren hätte es bislang auch immer welche gegeben, die diesen Maximalbetrag gewählt haben, sagt BWL-Professor Hornuf. „Diese hätten sonst vielleicht noch mehr investiert.“ Zudem muss künftig erst ab einem Emissionsvolumen von sechs Millionen Euro ein aufwendiger Wertpapierprospekt erstellt werden. Bisher waren es 2,5 Millionen Euro. Auch das könnte weiteres Kapital in den Markt bringen, glaubt Seedmatch-Sprecherin Petzold: „Jetzt wird Crowdinvesting auch für Unternehmen mit einem höheren Kapitalbedarf interessant.“
Oncgnostics hat seinen Kapitalbedarf nun zunächst gedeckt. Die Crowdinvesting-Kampagne war bereits die zweite, die Geld in die Kassen gespült hat. Zusätzlich zu Geld und Aufmerksamkeit hatte das Unternehmen durch die Kampagne auch neue Ideen mit auf Weg bekommen. Investoren hatten dem Unternehmen Tipps gegeben, wie sich die Zielgruppe der Frauenärzte noch besser erreichen lassen könnte. „Für uns hat sich das Crowdinvesting somit auf jeden Fall gelohnt“, sagt Hansel.
CROWDFUNDING FACTS
Schwarmfinanzierung oder Gruppenfinanzierung ist eine Art der Finanzierung. Ihre Kapitalgeber sind eine Vielzahl von Personen – in der Regel Internetnutzer, da zum Crowdfunding meist im World Wide Web aufgerufen wird.
SEEDMATCH Seedmatch ermöglicht es, in frühen Unternehmensphasen mit kleinen Beträgen in innovative Unternehmen zu investieren. Davon profitieren Investoren, Unternehmen und die Volkswirtschaft gleichermaßen. Durch das Internet werden Kapitalsuchende und Kapitalgeber auf einem neuen, effektiven Weg zusammengebracht. # www.seedmatch.de
GLS CROWD Die Onlineplattform GLS Crowd verbindet Menschen, die mit ihrem Geld sozial-ökologische Projekte verwirklichen wollen, mit Unternehmer*innen und deren zukunftsweisenden Ideen. # www.gls-crowd.de
KAPILENDO Kapilendo vernetzt Unternehmer und private Anleger. # www.kapilendo.de
COMPANISTO Eine Investmentplattform für Start-ups und Wachstumsunternehmen. # www.companisto.com
AESCUVEST aescuvest ist die erste europäische Crowdinvesting-Plattform speziell für Beteiligungen an Unternehmen im Gesundheitsmarkt. # www.aescuvest.de
MEDIFUNDO medifundo ist die Plattform für Investoren in Life-Science-Unternehmen. # www.medifundo.de
VISIONHEALTH VisionHealth sind Pioniere im Bereich digitaler Gesundheitslösungen für Patienten mit einem breiten Spektrum an Atemwegserkrankungen. # www.visionhealth.gmbh