Fünf weibliche Führungskräfte im Gesundheitswesen berichten von ihren Karrierewegen: #3 Sylvia Thun

„Die Sichtbarkeit von Frauen ist wichtig“

Für Führungspositionen im Digital-Health-Bereich werden immer noch überwiegend Männer angesprochen, kritisiert Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin für eHealth und Interoperabilität am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH). Dadurch fehle es an weiblichen Vorbildern.

Was waren rückblickend die wichtigsten Ereignisse und Entscheidungen in Ihrer beruflichen Karriere?

Die wichtigste Entscheidung war die Wahl des Studiums: der Biomedizinischen Technik/Physikalischen Technik in Kombination mit der Humanmedizin. Ich hatte den Mut und die Fähigkeiten, nicht die klassische Medizinerkarriere zu machen, sondern meinen Weg in Richtung Digital Health zu gehen. Dieser heute etablierte Bereich war 2000 nur rudimentär vorhanden.

Auch die Entscheidung, nach einer Praxisphase als Beraterin und im Krankenhaus in die höhere Ebene im Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) zu wechseln, war richtig. Denn ich wollte die Probleme lösen, die es in Krankenhäusern und bei der sektorenübergreifenden Kommunikation gab. Dabei hatte ich immer Standards für den internationalen Datenaustausch, wie HL7, SNOMED oder LOINC im Fokus – wusste aber, dass die Standardisierung auch auf Bundesebene vorangetrieben werden musste.

Auch die Ausbildung der Studierenden und die damit einhergehenden Projekte bei der Hochschule Niederrhein waren und sind für mich wichtig und wertvoll. Dort haben wir gesehen, dass die Standards in NRW mithilfe eines lebendigen Netzwerks an Partnern funktioniert haben und eine übergeordnete Gesetzgebung notwendig war. Infolgedessen hat mich mein Weg nach Berlin geführt.

Das Berlin Institute of Health (BIH) bietet eine grandiose Plattform für Forscher, denen ich behilflich bin – und gleichzeitig habe ich durch die Arbeit an der Charité auch immer einen Abgleich mit der Versorgungswirklichkeit. Alle beruflichen Entscheidungen würde ich daher nochmal genauso treffen.

Was waren die größten Hindernisse auf dem Weg in eine Führungsposition und wie haben Sie diese überwunden?

Es gab keine Hindernisse. Da ich mich immer auf die Sache konzentriere, bin ich im Grunde automatisch auf meine Positionen gelangt.

Welche persönlichen Stärken haben Ihnen auf dem Weg nach oben geholfen?

Meine Stärke ist die Fachlichkeit und die Vision. Ich möchte das Gesundheitswesen und die Forschung digital umgestalten, um Patienten besser zu helfen. Außerdem bin ich sehr ausdauernd und arbeite in großen weltweiten Netzwerken, welche die Standardisierung unterstützen. Ich sehe zudem sehr früh, wo die strategischen Weichen gestellt werden müssen, um effizient Änderungen umzusetzen.

Was müsste sich Ihrer Ansicht nach in der Arbeitswelt grundsätzlich ändern, damit mehr Frauen in Führungspositionen gelangen?

Es müssen neue Bewerbungsmechanismen eingeführt werden und erstmal auch eine Quote. Daneben ist die Sichtbarkeit der Frauen wichtig. Das Netzwerk #SHEHEALTH hat mittlerweile über 500 Expertinnen für Digital Health. Es werden jedoch immer noch überwiegend Männer für Führungspositionen in diesem Bereich angesprochen. Es herrscht fast keine Bewegung, so dass es auch keine Vorbilder gibt.

Was würden Sie definitiv anders machen angesichts Ihrer Erfahrungen?

Ich würde meine Expertise bei der Standardisierung des Datenaustauschs mit mehr Nachdruck bei allen Organisationen und Ministerien einbringen.

 

Prof. Dr. Sylvia Thun ist approbierte Ärztin und Ingenieurin für Biomedizinische Technik. Sie lehrt seit 2011 als Professorin für Informations- und Kommunikationstechnologie im Gesundheitswesen an der Hochschule Niederrhein; seit 2018 ist sie als Gastprofessorin an der Charité und Direktorin für eHealth und Interoperabilität am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH). Thun forscht zu Themen wie der elektronischen Gesundheitsakte oder dem elektronischen Rezept und ist Expertin für nationale und internationale IT-Standards im Gesundheitswesen. Seit Ende vergangenen Jahres leitet sie das nationale Expertengremium für Interoperabilität im Gesundheitswesen.

 

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