„Lokaler Tradition verpflichtet“

Die „Power des Konzerns“ gilt es mit jahrhundertealter Tradition vor Ort zu verbinden, sagt Dr. Markus Horneber, Vorstandsvorsitzender der evangelischen Agaplesion gemeinnützigen Aktiengesellschaft. Bei der Digitalisierung sind noch drei von vier Stufen zu erklimmen, erklärt er.

Interview: Dr. Stephan Balling

Herr Dr. Horneber, Sie führen mit Agaplesion einen Gesundheitskonzern mit mehr als 20 Krankenhäusern in der Rechtsform einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft. Was zeichnet Unternehmertum in der Krankenversorgung aus?

Unternehmertum beginnt immer mit einer Idee. Unternehmer müssen fragen, was das Besondere an ihrer Leistung ist. Was machen wir gut, was unterscheidet uns vom Wettbewerb? Dann erst stellt sich die Frage, wie sich möglichst viel Geld verdienen lässt. Die Reihenfolge ist wichtig: Was muss getan werden? Dann erst: Wie muss es getan werden? Erst geht es um Effektivität, dann um Effizienz.

Was ist das Besondere an Agaplesion, auch im Vergleich zu Einzelkrankenhäusern?

Agaplesion ist vor 20 Jahren entstanden, damals haben sich sieben Krankenhäuser unter einer Holding zusammengeschlossen. Für die Krankenhäuser sowie die Wohn- und Pflegeeinrichtungen sollte die Holding zentrale Dienste erbringen. Der Antrieb bestand darin, Wissen und Kompetenz zu bündeln. Das Besondere ist, dass wir in aller Regel nur 60 Prozent der Anteile an einem Krankenhaus übernehmen. Die lokalen Minderheitsgesellschafter, also die Alteigentümer, behalten also 40 Prozent. Für die anderen 60 Prozent bekommen sie Agaplesion-Aktien.

Weshalb versuchen Sie nicht 100 Prozent zu übernehmen?

Wir sind der lokalen Tradition verpflichtet und haben gewaltigen Respekt davor. Unser Krankenhaus in Hamburg-Bergedorf zum Beispiel ist mehr als 160 Jahre alt. Unser Ansatz ist nicht, den Leuten vor Ort zu erklären, wie ein Krankenhaus funktioniert oder wie man in Bergedorf Gesundheitsversorgung organisiert. Die Gesellschafter haben das über Jahrzehnte und Jahrhunderte erfolgreich gemacht, und diese Tradition bewahren wir. Mit unserem Anteil von 60 Prozent entfalten wir aber zusätzlich die ganze Power des Konzerns.

Welche Vorteile hat Ihnen die Struktur eines großen Konzerns in der COVID-19-Pandemie gebracht?

Die Verbundstruktur hat gewaltige Vorteile gebracht. Unser zentrales Logistikzentrum war jederzeit lieferfähig. Keines unserer Krankenhäuser hatte zu irgendeinem Zeitpunkt einen Mangel an Masken, Schutzkitteln oder Desinfektionsmitteln. Den Kollegen im zentralen Einkauf stockte zeitweise der Atem angesichts der extrem angespannten Marktlage, aber unsere Spezialisten haben langfristige Beziehungen zu Lieferanten, sodass immer ausreichend Material vorhanden war. Unser Hygieneinstitut hat alle Masken zentral geprüft. Schrottmasken, die auch uns erreicht haben, konnten wir so umgehend zurückschicken. Die kamen nicht zum Einsatz. Um all diese Themen mussten sich unsere Geschäftsführer vor Ort nicht kümmern. Unser zentrales Hygieneinstitut hat gemeinsam mit den dezentralen Krisenstäben Regeln entwickelt, um Ausbrüche in unseren Häusern zu vermeiden. Die zentrale Organisation hat uns also sehr geholfen. Dazu konnten wir uns Luft beim Thema Liquidität verschaffen, indem wir mit den Banken gesprochen haben. Letzten Endes mussten wir aber keine zusätzlichen Kredite aufnehmen, sondern konnten Probleme in einzelnen Häusern mit unserem internen Cash-Pool lösen.

Wie wichtig ist es für Sie, zu wachsen, gegebenenfalls auch durch die Übernahme kommunaler oder katholischer Häuser?

Wir wollen ein evangelischer Krankenhausverbund bleiben. Kommunale Krankenhäuser zu übernehmen ist schwierig, weil die Träger dort meist einen hohen Kaufpreis aufrufen. Da fehlen uns im Gegensatz zu privaten Konzernen die finanziellen Möglichkeiten. Auch katholische Krankenhäuser sind für uns eher kein Übernahmeziel, denn die katholische Seite möchte in der Regel Mehrheitsgesellschafter bleiben.

Welches wirtschaftliche Ergebnis verlangen Sie von Ihren Krankenhäusern?

Als Konzern wollen wir eine Umsatzrentabilität von 2,5 Prozent erreichen. Vor Ort wird das Ergebnis nicht immer erreicht, das hängt vom Reifestadium eines Krankenhauses oder einer Pflegeeinrichtung ab. Bei jedem Haus gibt es Wellenbewegungen. Wer heute exzellent aufgestellt ist, kann in drei Jahren eine Schwächephase durchlaufen. Der Vorteil des Verbundes ist, dass wir über unseren Cash-Pool zwischen starken und schwächeren Krankenhäusern einen Ausgleich organisieren können, was die Liquidität angeht.

Können die Agaplesion-Gesellschafter ihre Aktien verkaufen?

Ja, das ist möglich, aber immer nur zum Nominalwert an die gAG oder im Kreis der Gesellschafter. Auch vor Ort dürfen die GmbH-Anteile der Minderheitsgesellschafter nicht frei verkauft werden. Agaplesion ist insofern ein geschlossenes System.

Sehen Sie in der Organisationsstruktur von Agaplesion ein Vorbild für den kommunalen Bereich?

Ja, theoretisch könnten wir absolut ein Vorbild sein. Praktisch müssen CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP, AfD und Linke gemeinsam eine Aktiengesellschaft gründen. Das halte ich für politisch kaum umsetzbar. Nach den Erfahrungen in Hessen – hier sollte ja so etwas wie ein kommunaler Krankenhauskonzern vor einigen Jahren gegründet wer-den – glaube ich nicht daran, dass so etwas gelingen kann.

Welche Vorteile einer Konzernstruktur sehen Sie mit Blick auf das Personalmanagement?

Die Mitarbeiter zu rekrutieren und zu gewinnen, das findet sehr stark vor Ort statt. Aber wir stellen im Bereich des Employer Branding Konzepte und Möglichkeiten zentral zur Verfügung und verfolgen auch hier einen Best-Practice-Ansatz. Wenn in Gießen ein tolles Konzept entwickelt wird, um Mitarbeiter bei Wettbewerbern in den sozialen Medien zu identifizieren, die dann zum Beispiel über Facebook oder per E-Mail eine Agaplesion-Anzeige von uns zugesandt bekommen, dann können das andere im Konzern nachahmen. Auch das Auslands-Recruiting begleiten wir zentral. Nicht jedes Haus muss sich mit der Frage befassen, wie sich Pflegekräfte in China anwerben lassen. Das bearbeiten wir einmal und entscheiden dann, ob es sinnvoll ist oder nicht.

Wie steht es um Ihre Investitionskraft, insbesondere mit Blick auf die digitalen Herausforderungen?

Wir schaffen es als Verbund, jedes Jahr zwischen 80 und 120 Millionen Euro in Gebäude, Technik und Digitalisierung zu investieren. Die Sicherstellung der Investitionsfähigkeit ist ein entscheidendes Argument, dass sich Träger entscheiden, ihre Häuser in einen Konzern wie Agaplesion einzubringen. Dazu kommt, dass wir eine höhere Kreditwürdigkeit bei Banken haben als ein Einzelkrankenhaus.

Welche Vorteile haben Sie als Konzern mit Blick auf die Digitalisierung?

Wir haben 150 Mitarbeiter in einer zentralen IT-Abteilung. Allein das ist ein gewaltiger Vorteil, weil sich die Kollegen dort spezialisieren können. Da gibt es ein Team, das betreut MS Teams und Office und all die Standartsoftwareprogramme. Andere sind Spezialisten für das Krankenhausinformationssystem (KIS). Das erlaubt uns, viele Details selbst zu konfigurieren und mit eigenen Parametern zu versehen. Unsere zwei Rechenzentren sorgen für Ausfallsicherheit.

Welche Zukunft haben Einzelkrankenhäuser?

Ganz einfach: keine. Wenn überhaupt, dann können hochspezialisierte Fachkliniken überleben. Mittelfristig sehe ich auch nicht, dass große Krankenhäuser mit 1.000 Betten oder mehr alleine agieren können. Es sei denn, es handelt sich um kommunale Krankenhäuser oder Universitätskliniken, bei denen die öffentliche Hand die Verluste ausgleicht. Die Zukunft liegt eher in regionalen Verbünden. Das gilt übrigens erst recht, je stärker die Zahl der Gesetze, Mindestvorgaben, Qualitätsvorschriften und Regularien wächst. Geschäftsführer in Einzelkrankenhäusern, egal wie gut sie sind, können das nicht mehr bewältigen.


Agaplesion als Vorbild für einen kommunalen Krankenhauskonzern? Bei dem evangelischen Verbund lassen sich einige Anleihen nehmen, zunächst das Prinzip der Freiwilligkeit. Denn der Konzern wächst nicht, weil die evangelische Kirche das top-down beschließt, sondern weil lokale Ebenen diesen Weg wählen. Mittlerweile hat der Gesundheitskonzern 20 Krankenhäuser mit 23 Standorten und 6.255 Betten. Dazu kommen 34 Medizinische Versorgungszentren, 40 Wohn- und Pflegeeinrichtungen, vier Hospize und 16 ambulante Pflegedienste. Agaplesion beschäftigt 22.000 Mitarbeiter bei einem Konzernumsatz von 1,5 Milliarden Euro.


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