Pharmakonzerne und Start-ups entwickeln gemeinsam innovative Gesundheitslösungen
Pharmakonzerne und Start-ups können von Kooperationen profitieren – doch häufig scheitert die Zusammenarbeit. Das will die EU-geförderte Initiative EIT Health mit ihrem Programm „Startups Meet Pharma“ ändern.
von Anna Friedrich
Wenn Menschen an Parkinson erkranken, gerät ihre Welt im wahrsten Sinne des Wortes ins Wanken. Durch die Krankheit wird häufig ihr Gang unsicher, immer wieder kommt es zu Stürzen. Für Ärzte ist es schwierig herauszufinden, welche Medikation am besten hilft. Denn die Patienten nehmen zahlreiche unterschiedliche Medikamente ein, zudem schwanken die Symptome im Tagesverlauf. Ralph Steidl, CEO der Portabiles HealthCare Technologies GmbH, und sein Team haben deshalb eine Lösung entwickelt, mit der Ärzte im Blick haben, wie sich der Gang des Patienten über den Tag hinweg verändert: das Gang-Analysesystem „mobile GaitLab“.
Kernelement ist ein Bewegungssensor, der auf den Schnürsenkeln angebracht wird. Der Sensor erfasst zahlreiche Parameter: von der Schrittlänge bis hin zum Abstand der Zehen zum Boden. Abends werden die gesammelten Daten an das Smartphone des Patienten gesendet. Eine App wertet die Ergebnisse aus und erstellt Berichte für den nächsten Arztbesuch oder die telemedizinische Beratung. So können Ärzte herausfinden, welche Medikation für den Patienten die beste ist, Sturzrisiken und Komplikationen lassen sich frühzeitig erkennen.
Das Gang-Analysesystem weckte im Jahr 2019 das Interesse von EIT Health Germany, einer EU-geförderten Initiative, die Innovationen im Gesundheitswesen unterstützt. EIT Health hatte gerade das neue Programm „Startups Meet Pharma“ ins Leben gerufen und sammelte Bewerbungen von Start-ups mit innovativen Gesundheitslösungen ein. Das Programm soll Pharmakonzerne und Start-ups dabei unterstützen, damit sie gemeinsam Gesundheitslösungen entwickeln.
Kooperationen wie diese sind nicht neu – doch viele sind nur von kurzer Dauer. „Schätzungsweise scheitert fast die Hälfte der Kooperationen zwischen Start-ups und großen Unternehmen“, sagt Katharina Ladewig, Managing Director von EIT Health Germany. „Startups Meet Pharma“ will das zum einen dadurch ändern, indem das Programm die Pharmaunternehmen direkt mit jenen Jungunternehmen zusammenbringt, die passende Lösungen in petto haben. Hierzu macht EIT Health jedes Jahr zunächst Pharmaunternehmen mit unterschiedlichen Herausforderungen ausfindig und vermittelt sie dann an Start-ups mit passenden Technologien, um die Schwierigkeiten zu bewältigen. Die meist kreativeren und hochspezialisierten Kleinunternehmen haben zwar innovative Ansätze, aber häufig weder Geld, Laborausstattung noch nennenswerte Beziehungen in die Branche.
Jedes Jahr gibt es fünf Challenges, auf die sich 2019 und 2020 jeweils 65 Jungunternehmen beworben haben. 15 bis 20 von ihnen hat EIT Health letztlich für das Programm ausgewählt. Zu den Konzernen, die eine Herausforderung parat hatten, zählte beispielsweise der Konsumgüterkonzern Beiersdorf. Das Unternehmen war auf der Suche nach einer Lösung für Hautprobleme von Diabetikern. Und das Fazit zur Initiative fällt positiv aus: „Veranstaltungen wie die „Startups Meet Pharma Challenge 2020“ sind ein idealer Rahmen, um vertrauensvoll und persönlich über die Geschäftsmodelle potenzieller externer Partner und die Themenfelder der internationalen Investoren zu sprechen“, sagt eine Konzernsprecherin.
Der spanische Konzern Ferrer wiederum suchte 2019 eine Lösung, die Parkinson-Patienten mit Gangstörungen helfen sollte – ein Partner also, der wie gemacht war für Portabiles. Das Start-up bewarb sich und durfte mitmachen.
Der persönliche Kontakt zwischen den Großen und Kleinen macht das Programm beliebt: Es öffnet Türen, die sonst vielleicht nicht komplett verschlossen blieben, aber sicherlich schwerer zu öffnen wären. Das bestätigt auch Portabiles-CEO Steidl: Er besuchte im Rahmen des Programms Ferrer in Barcelona und das Pharmaunternehmen UCB in Brüssel und präsentierte seine Lösung. Die Pharmaunternehmen hätten den Kontakt zwar nicht sofort weiterverfolgt. Das sei aber während der noch sehr frühen Produktphase nicht überraschend gewesen, sagt Steidl. Wichtig war für ihn, mit Konzernen über seine Lösung zu diskutieren, „die sonst nicht so einfach die Tür öffnen – und diesen Kontakt dann aufzufrischen, sobald wir mit unserem Produkt weiter sind.“ Auch Beiersdorf sieht das ähnlich: „Solche Start-up-Pitches sind primär ein erstes, kurzes Kennenlernen, aus dem im Falle beiderseitigen Interesses eine langfristige, schrittweise Intensivierung der Zusammenarbeit erwachsen kann“, sagt eine Sprecherin.
„Startups Meet Pharma“ ist aber nicht nur als Match-Maker gedacht. Es soll Start-ups vielmehr auf die Zusammenarbeit mit Konzernen vorbereiten. Denn häufig ist es nicht mangelndes oder ungleiches Interesse an einer Kooperation, die es Start-ups und Branchengrößen schwer macht. In der Praxis hakt es häufig bei der Kommunikation, Kultur und den Abläufen. Schließlich treffen hier zwei Welten aufeinander: Jungunternehmen haben kurze Entscheidungswege und unkonventionelle Lösungen. Demgegenüber stehen Pharmariesen mit Tausenden Mitarbeitern, bei denen jede Idee erst in mehreren Instanzen durchgewinkt werden muss.
Branchenkenner sind sich darum einig: Wenn der Kontakt zu einem Pharmakonzern erst einmal steht, muss das Jungunternehmen sich bestmöglich präsentieren. Genau hier setzt EIT Health an. In mehreren Modulen lernen die Teilnehmer beispielsweise, wie sie ihre Idee richtig pitchen und mit Investoren sprechen, wie sie Design Thinking anwenden und die Produktplanung angehen – ein großes Netzwerk inklusive: „Wir haben gute Kontakte zu Venture Capitalists bekommen, von denen wir heute profitieren“, sagt Portabiles-CEO Steidl.
Welche Ergebnisse tatsächlich durch das Programm entstehen, lässt sich jedoch schwer sagen. Beiersdorf beispielsweise hält sich bedeckt: Zu konkreten Details hinsichtlich des Austausches mit Partnern könne man sich nicht äußern, heißt es. Das überrascht nicht, immerhin werden häufig Verschwiegenheitserklärungen unterzeichnet.
Portabiles-CEO Steidl spricht hingegen offen über das Ergebnis: Aus dem Kontakt mit Ferrer habe sich nichts ergeben. Steidl ist trotzdem zufrieden: Das neue Netzwerk habe ihm schon mehrfach geholfen. „EIT Health war ein Türöffner für uns.“ So hätten sich etwa Kontakte zu Krankenkassen sowie möglichen Investoren ergeben. Das Gang-Analysesystem ist inzwischen als Medizinprodukt zertifiziert – auch ohne Unterstützung von Ferrer. Nächstes Jahr soll es auf den Markt kommen.
„STARTUPS MEET PHARMA“: DAS STECKT DAHINTER
Das Programm „Startups Meet Pharma“ wurde im Jahr 2019 von EIT Health ins Leben gerufen. In diesem Jahr geht das Programm in die dritte Runde: Mit dabei sind die Pharma- und Biotechnologiekonzerne Takeda, Merck, Amgen und AstraZeneca. 111 Bewerbungen sind eingegangen. Gesucht werden unter anderem digitale Lösungen für die Diagnose von ADHS bei Erwachsenen, für chronische Nierenerkrankungen und für die Fernüberwachung von MS-Patienten.
EIT Health wurde 2015 gegründet und verknüpft Institutionen aus Forschung, Wirtschaft und Bildung. Es gibt drei Programmbereiche: Innovation, Accelerator und Education. Europaweit sind 150 Partner im Netzwerk dabei. Darunter sind die wichtigsten Pharmaunternehmen und mehr als 1.000 Start-ups sowie kleine und mittelständische Unternehmen, die bereits an den Programmen teilgenommen haben. Damit will die Initiative das Gesundheitssystem in Europa stärken. EIT Health gehört zum European Institute of Innovation and Technology, einer unabhängigen Einrichtung der EU. https://eit-health.de/
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