Präsenz-vs. E-Learning – Hochschulen am Scheideweg
Wer ein berufsbegleitendes Studium anstrebt, muss sich entscheiden: Lerne ich lieber online oder will ich meine Kommilitonen im Hörsaal treffen? Dr. Harald Beschorner, Kanzler der FOM (früher Fachhochschule für Ökonomie und Management), plädiert klar für das Präsenzstudium. Prof. Holger Sommerfeldt ist da anderer Meinung. Als akademischer Leiter im Fernstudium der IUBH Internationalen Hochschule sieht er die Studenten lieber virtuell auf dem Bildschirm. Warum beide vom Erfolg ihres Modells überzeugt sind und was die Corona-Pandemie am Alltag der Hochschulen verändert hat, diskutieren Beschorner und Sommerfeldt im Doppelinterview mit Transformation Leader.
Interview: Jennifer Garic
Die Coronakrise und der erste Lockdown haben auch die Hochschulwelt verändert. Videochatprogramme wie Zoom und Teams wurden zum virtuellen Hörsaal, Studenten und Lehrende mussten digital aufrüsten. Wie haben Sie, Herr Beschorner, diese Zeit erlebt? Die FOM setzt schließlich auf Präsenzunterricht. Waren Sie auf das Digitale Lehren vorbereitet?
Dr. Harald Beschorner: Wir hatten zunächst vor allem mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, da wir auf die Schnelle Lizenzen für unsere rund 2.500 Dozenten beschaffen und die nötige Bandbreite bereitstellen mussten. Nachdem das geschafft war, konnten unsere Dozenten aber schnell je nach Wunsch von zu Hause aus oder live aus dem Hörsaal im Hochschulzentrum streamen. Das kam bei den Studenten und Lehrkräften gut an.
So gut, dass Sie in Zukunft mehr Webinare anbieten?
Beschorner: Wir haben gemerkt, dass es in einigen Fällen Sinn macht, das Lehrangebot mit Webinaren zu ergänzen. Aber die FOM ist und bleibt eine Präsenzhochschule.
Herr Sommerfeldt, können Sie dieses Beharren auf den althergebrachten Präsenzformaten nachvollziehen? Im IUBH-Fernstudium setzen Sie ja seit jeher auf Onlineformate. Damit waren Sie eigentlich perfekt für die Pandemie aufgestellt, oder?
Prof. Holger Sommerfeldt: Tatsächlich sehen wir uns in unserer Ausrichtung auf digitales Lernen durch die Krise bestätigt. Es hat sich für unsere Fernstudenten im Lernalltag nichts geändert – zumindest nicht im Hochschulkontext. Wir konnten unser Angebot aus Aufzeichnungen, Live- Vorlesungen, Podcasts und Onlineprüfungen wie gewohnt anbieten. Wir haben lediglich gemerkt, dass in den ersten zwei Wochen des Lockdowns im Frühjahr weniger Prüfungen abgelegt wurden. Vielleicht aus Unsicherheit? Mittlerweile haben die Studenten das aber mehr als aufgeholt.
Ist es eine reine Typsache, ob man lieber online oder mit Kommilitonen im Hörsaal lernt?
Beschorner: Natürlich gibt es Menschen, die lieber virtuell lernen oder eben auch nicht. Da sprechen wir durchaus unterschiedliche Menschen an, obwohl die FOM und IUBH beide berufsbegleitende Studiengänge für ähnliche Zielgruppen anbieten.
Sommerfeldt: Da würde ich widersprechen. Oft ist es keine Frage des Typs, sondern eine reine Frage der Machbarkeit und der persönlichen Flexibilität. Manche Menschen leben ländlich, sind familiär eingespannt oder arbeiten im Schichtdienst. Da ist ein rein digitales Studium einfach besser unterzubringen.
Ihre Beschreibung trifft auf viele Menschen in der Gesundheitsbranche zu, für die Sie beide spezielle Studiengänge bieten. Passt ein Präsenzstudium einfach nicht in den Alltag von medizinischen Fachkräften?
Beschorner: So würde ich das nicht sehen. Aber wir wissen, dass feste Vorlesungszeiten für eine Weiterbildung im Klinik- oder Pflegealltag nur schwer umzusetzen sind. Aktuell absolvieren rund 15 Prozent unserer Studenten ein Studium im Bereich Gesundheit und Soziales. Um dieser Zielgruppe entgegenzukommen, überlegen wir, besonders für sie zusätzliche Webinar-Inhalte zu produzieren. Ganz ersetzen sollen sie die Präsenzformate aber nicht. Auch für medizinische Fachkräfte ist es wichtig, zum Lernen regelmäßig zusammenzukommen.
Sommerfeldt: Onlineangebote zahlen sich für die Gesundheitsbranche wirklich besonders aus. Rund ein Drittel unserer Studenten studiert im Fachgebiet Gesundheit und Soziales. Ein Onlinestudium ist wie gemacht für eine Weiterbildung im Gesundheitswesen. Deswegen glaube ich daran, dass ein Angebot wie unseres dazu beitragen kann, den Fachkräftemangel in der Pflegebranche zu reduzieren. Duale und berufsbegleitende Studiengänge werten Berufe in Kliniken und Pflegeeinrichtungen auf und bieten Mitarbeitern zusätzliche Anerkennung.
Wobei Angestellte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen mit einem Studium oft nach Führungspositionen streben. Wer Karriere machen will, braucht aber nicht nur Fachwissen – sondern auch gute Kontakte. Sind Präsenzveranstaltungen besser geeignet, um ein schlagkräftiges Netzwerk aufzubauen?
Beschorner: Ja, das ist so, und das ist eine unserer Stärken. Wir bringen Menschen zusammen und bieten im Rahmen des Präsenzstudiums eine persönliche Austauschmöglichkeit. Wir kennen das doch selbst aus unserem Alltag: Zu Konferenzen geht man selten, weil die Vorträge so spannend sind, sondern weil man sich dort spannende Begegnungen und Kontakte erhofft. Da begegne ich vielleicht spontan Herrn Sommerfeldt am Büfett und komme mit ihm ins Gespräch. Später erweist sich diese kleine Begegnung als nützlicher Kontakt. Auf Onlinetagungen funktioniert das einfach nicht. Da muss ich gezielt nach Menschen suchen und Kontakt aufnehmen. Dabei weiß ich oftmals ja gar nicht, ob derjenige für mich interessant ist. Ich nehme deswegen aktuell gar nicht an den vielen Onlineformaten teil, die angeboten werden. Netzwerken funktioniert virtuell einfach nicht. Da werden Sie mir sicher zustimmen, oder Herr Sommerfeldt?
Sommerfeldt: Leider nicht. (lacht) Auch wenn ich selbst gerne offline netzwerken gehe, bieten sich online doch noch viel mehr Möglichkeiten, auf interessante Menschen zu treffen – und das gilt auch für unsere Studenten. Zum einen können sich unsere Studenten deutschlandweit austauschen und sind nicht auf die Kontakte am regionalen Standort ihrer Hochschule beschränkt. Zusätzlich haben wir sehr rege Onlinegruppen, in denen sich Studenten manchmal auch spät abends noch austauschen. Das bietet aus meiner Sicht auch besonders introvertierten Studenten eine Chance. Und damit bei Teamarbeiten nicht immer die Gleichen zusammenarbeiten, haben wir eine App entwickelt, die unsere Studenten jedes Mal bunt zusammenwürfelt. So entstehen laufend neue Kontakte.
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Das Onlinestudium klingt bei Ihnen, Herr Sommerfeldt, ja nach der eierlegenden Wollmilchsau: Hat es denn wirklich nur Vorteile, virtuell zu lernen?
Sommerfeldt: Aus unserer Sicht kommt ein Onlinestudium mit einem gut durchdachten Konzept zumindest sehr nah an ein ideales Lernumfeld für die Gesundheitsbranche heran. Das liegt aber auch an unserer jahrelangen Erfahrung. Wir haben mit der Zeit ein immer größeres digitales Angebot geschaffen, es an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst. So passen wir jetzt mit unserer innovativen, digitalen Lehre sehr gut in den aktuellen Zeitgeist. Das alles lässt sich nicht so einfach kopieren, auch wenn jetzt plötzlich alle Zoom-Vorlesungen halten.
Beschorner: Also bitte. Nur, weil wir vor allem auf Präsenzveranstaltungen setzen, heißt das ja nicht, dass wir nicht digital innovativ sein können. Abseits der Vorlesungen und Prüfungen läuft bei uns auch schon lange alles digital. Um innovativ sein zu können, muss man aber nicht unbedingt zu Hause vor dem Laptop sitzen und dem Dozenten per Video folgen.
Die Diskussion, wie Sie beide sie gerade führen, ist auch in Unternehmen ein häufiger Streitpunkt. Oft lautet die Frage: Wie wichtig sind digitale Skills im Alltag? Haben Sie darauf eine Antwort, Herr Beschorner?
Beschorner: Natürlich gibt es nicht die eine Antwort. Aber da wir von Unternehmen gegründet wurden, haben wir einen ganz guten Einblick in die Köpfe der Unternehmer und Manager – also in die Denkweise derjenigen, die unsere Studenten fördern oder später als Fachkräfte einstellen. Die Unternehmen haben uns klare Kompetenzen genannt, die sie sich von unseren Studenten erhoffen. Dazu gehören unter anderem Selbstbewusstsein, diplomatisches Geschick und die Fähigkeit, nachhaltig erfolgreiche Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Diese Kompetenzen wollen wir unseren Studenten mitgeben. Und aus unserer Sicht geht das am besten, wenn sich Studenten und Dozenten regelmäßig sehen. Dafür lohnt sich das Pendeln und die Parkplatzsuche.
Ist es für Unternehmen demnach ein Ausschlusskriterium, wenn ein Bewerber ein reines Onlinestudium absolviert hat?
Sommerfeldt: Auf keinen Fall. Dieses Feedback erhalten wir auch regelmäßig von Recruitern. Im Endeffekt gelten auf dem Arbeitsmarkt der Abschluss und die erworbenen Fachkompetenzen. Zusätzlich zeigt der Onlineabschluss, dass sich der Bewerber selbst motivieren und disziplinieren kann.
Keine leichte Entscheidung für Studierende, ob sie lieber online oder offline lernen wollen. Hat sich der Konkurrenzdruck zwischen Ihren Instituten durch die Coronakrise verschärft? (beide lachen)
Beschorner: Wir sprechen die gleiche Zielgruppe an: Berufstätige, die nebenbei studieren wollen.
Sommerfeldt: Natürlich versuchen wir beide, unsere Konzepte gut zu vermarkten und damit in möglichst vielen Branchen Fuß zu fassen. Trotzdem ist ein Austausch wie dieser hier sehr wertvoll für beide Seiten, oder Herr Beschorner?
Beschorner: Auf jeden Fall. Vielleicht können wir das ja bald einmal bei einem Offlinetreffen wiederholen.