Start-up Autozulieferer: Aufbruch in Corona-Zeiten

Aufbruch statt Trübsal: Durch die Corona-Pandemie steckt die Automobilbranche zwar in einer tiefen Krise. Das Jungunternehmen b-plus automotive schaut trotzdem optimistisch nach vorn. Das hat viel mit der Denke des Silicon Valley zu tun.

Von Hendrik Bensch

Josef Behammer hätte allen Grund dazu pessimistisch zu sein. Die Autoverkäufe in Deutschland sind wegen der Corona-Krise eingebrochen. Über viele Wochen hinweg haben die deutschen Autohersteller im Frühjahr ihre Produktion gestoppt. Die Aussichten auf schnelle Besserung sind alles andere als gut. Und das trifft auch Engineering-Dienstleister für die Autobranche wie die b-plus automotive GmbH. Josef Behammer leitet das junge Tochterunternehmen der b-plus GmbH aus dem niederbayerischen Deggendorf. „Unter Corona leidet die ganze Branche“, sagt der Manager. „Auch wir haben Projekte gestoppt.“ 

Doch trotzdem klingt es eher nach Aufbruch als nach Resignation, wenn der Geschäftsführer über die Zukunft seines Unternehmens spricht. Statt zurückhaltend zu handeln will Behammer mit seinen 80 Mitarbeitern neue Märkte erschließen. Und das hat mit einem Perspektiv- und Strategiewechsel zu tun, den eine Investorenpräsentation im Silicon Valley und ein Innovations- und Gründerprogramm ausgelöst haben. Für Behammer und seine Führungskräfte war es der Startschuss dafür, die Weichen neu zu stellen.  

b-plus automotive ist im Zukunftsmarkt des automatisierten und autonomen Fahrens unterwegs. Das Unternehmen entwickelt zum Beispiel Softwarekomponenten für Sensorsysteme des Autos, wie etwa das Radar. Das junge Unternehmen kombiniert außerdem die Software mit Ansätzen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz. So entstehen Computer-Algorithmen, mit denen Autos künftig kritische Situationen im Straßenverkehr automatisiert erkennen – und mit eigens entwickelten Fahrfunktionen sicher meistern sollen. Ziel ist, dass Fahrzeuge frühzeitig selbst reagieren, zum Beispiel dann, wenn plötzlich ein Reh über die Straße läuft.

Eine weitere Lösung des Unternehmens ist ein Testflottenmanager, eine cloudbasierte Software. Sie soll auf dem Weg zur Entwicklung sicherer Sensoren und Steuergeräte helfen. Denn hierfür müssen Testflotten in unzähligen Fahrten Daten sammeln. Sie müssen zunächst Milliarden von Testkilometern zurücklegen, bevor automatisiertes und autonomes Fahren sicher und serienreif ist. Die Lösung der Bayern soll unter anderem helfen zu überwachen, ob die Sensoren und die Messtechnik unter allen Bedingungen einwandfrei funktionieren. 

Bislang werden die gesammelten Daten zunächst in einem Rechner im Wagen gespeichert, bevor Ingenieure sie nach der Testfahrt auswerten. Mit dem Testflottenmanager lässt sich die Technik aus der Ferne überwachen, Software-Updates lassen sich an Fahrzeuge senden. Falls etwa ein Techniker erst unterwegs merkt, dass ein Sensor nicht funktioniert, kann ein Update aus der Ferne hochgeladen werden. Andernfalls müsste das Auto erst wieder zur Ausgangsstation zurückfahren und sich dort die Daten aufspielen lassen. „Die Lösung spart viel Aufwand, Zeit und Kosten – und schont die Umwelt, weil keine unbrauchbaren Testfahrten anfallen“, sagt Behammer. 

In der Entwicklungsphase für das neue Produkt hatte Josef Behammer vom Silicon Valley Program der Technischen Hochschule Deggendorf gehört. Dabei feilen die Teilnehmer an einem Konzept für ihre Geschäftsidee oder Innovation. Die Dozenten sind von der deutschen Hochschule und der Santa Clara University aus dem Silicon Valley. Zum Abschluss geht es für eine Woche nach Kalifornien, um Tech-Firmen zu besuchen und die Idee vor Investoren zu präsentieren. „Eine einzigartige Chance für uns, um das Produkt voranzubringen“, sagt Behammer rückblickend. 

Die Reaktion der Investoren war jedoch ernüchternd. Die Lösung sei für zu wenige Abnehmer gedacht und nicht ausreichend skalierbar, so die Kritik der möglichen Kapitalgeber. „Das Feedback war schon hart“, erinnert sich Behammer. „Venture-Capital-Investoren steigen nur dann ein, wenn sie ihr Investment innerhalb kurzer Zeit vervielfachen können. Dafür hatten wir zu klein gedacht.“ Doch die Enttäuschung legte sich schnell. Denn einer der Investoren mit einem weltweiten Netzwerk zu Industriepartnern will das bayerische Jungunternehmen künftig trotzdem unterstützen.

Was sich durch das Programm und die Zeit in Kalifornien für die Mitarbeiter von b-plus automotive geändert habe, sei die „Denke“, sagt der Manager. Zum einen die Erkenntnis, noch viel stärker „market-driven“ Produkte zu entwickeln – also nur das zu bauen, was sich gut vermarkten lässt. Die Deutschen würden immer noch sehr „technic-driven“ handeln – also im Nachhinein das vermarkten, was sie technologisch auch bauen können, so Behammer. „Das war mir vorher auch bewusst, aber ich habe es jetzt noch einmal in aller Deutlichkeit gelernt.“ Er und seine Kollegen hätten vor allem auch mitgenommen, in ganz anderen Dimensionen nach vorn zu schauen: „Think as big as you can!“ war das Motto des Programms.

Anfangs sei ihnen nicht klar gewesen, welches kreative Potenzial diese Denke habe, sagt Behammer.  Aber als sie sich darauf einließen, kamen die Ideen: Die Bayern analysieren jetzt, in welchen Branchen der Flottenmanager noch gefragt sein könnte: zum Beispiel in Trucks für Kühltransporte, um ständig die Frachtraumtemperatur zu kontrollieren oder den Standort der Kühlcontainer zu bestimmen. Natürlich gäbe es schon einzelne Lösungen in dieser Richtung, sagt Behammer. „Aber die Einladung zum ,Groß-Denken´ hilft uns, die Größe des Marktes für unsere Lösung besser einzuschätzen.“

Wenn der Geschäftsführer jetzt nach vorn schaut, sieht er eine neue b-plus automotive vor sich: Nicht mehr nur den Dienstleister, sondern auch den Hersteller eigener Lösungen. Nicht mehr nur den Softwareentwickler für automatisiertes und autonomes Fahren, sondern auch den Anbieter von Tracking- und Überwachungslösungen. „Das halten wir jetzt alles für möglich, weil wir dank des Programms über den Tellerrand geschaut und unseren Blick geweitet haben.“ 


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