„Wir brauchen einen Kulturwandel!“ – Business nach Vorbild des Silicon Valley
Deutschland sei ein Land von Nerds, die aber zu sehr mit alten Businessplänen arbeiten und daran scheitern, ihr Geschäftsmodell rasch zu skalieren, mahnen unsere Interviewpartner Prof. Peter Schmieder und Alexander Dorn vom Deggendorf Institute of Technology. Das Silicon Valley zeige, wie das gehe: Strikte Fokussierung auf Kunden und Tools, um den Kundenwunsch herauszufinden.
Interview: Stephan Balling
Herr Prof. Schmieder, wo steht die deutsche Start-up- und Tech-Szene im Vergleich zu den USA, zum Silicon Valley?
Prof. Peter Schmieder: Wir hinken weit hinterher, aber anders als viele denken, nicht im technologischen Bereich. In Deutschland gibt es ausreichend viele Ingenieure und Softwareexperten. Wir sind durchaus auch ein Land von Nerds. Technisch ist das Silicon Valley uns also nicht weit voraus. Das zeigen auch internationale Innovation-Rankings, in denen Deutschland regelmäßig den Spitzenplatz erreicht. Wir sind gute Erfinder, top im Bereich Invention. Aber eine Invention ist keine Innovation, das ist ein Unterschied. Eine Erfindung wird erst zu einer Innovation, wenn sie zu einem Produkt oder einer Dienstleistung wird und am Markt Erfolg hat. Und daran hapert es zu oft in Deutschland.
Woran machen Sie dieses Defizit fest? Dass es kein EU-Apple gibt? Wir sind eben das Land der Hidden Champions. Und damit fahren wir seit Jahrzehnten gut.
Alexander Dorn: Oftmals sind aber gerade wir „Enabler“ – hier werden Schlüsseltechnologien erfunden. Marktfähig macht sie dann aber jemand anderes. Hier müssen wir ansetzen und unsere Ingenieure in die Lage versetzen, ihre Technologie marktfähig zu machen. Das ist eine eigene Profession.
Wie lässt sich das erreichen?
Dorn: Wir brauchen einen Kulturwandel! Wenn Deutschland im digitalen Zeitalter seine wirtschaftliche Bedeutung erhalten will, geht es nicht um disruptive Technologien, sondern darum, Märkte zu disruptieren.
Aber ohne Technologieführerschaft auch keine Disruption von Märkten, oder?
Schmieder: Manchmal entscheidet sich der Markt auch für eine Lösung, die technisch unterlegen ist. Jedes Elektroauto von BMW ist heute rein technisch betrachtet besser als ein Tesla. Trotzdem verkauft Tesla viel mehr Elektroautos. Die Kalifornier verstehen es, Märkte zu verändern, nicht nur Produkte zu kreieren.
Dorn: Oder denken Sie an das bekannte Beispiel von VHS und Video 2000. VHS war das technologisch unterlegene System, hat sich aber letztlich durchgesetzt. Ein klassisches Beispiel ist das MP3-Format, erfunden am Fraunhofer-Institut in Erlangen, wurde es in Japan über MP3-Player zum Produkt. Zur wirklichen Innovation wurde es aber letztlich durch Apple und Steve Jobs Geniestreich mit der Software iTunes. Ohne iTunes wäre das Format wahrscheinlich wieder in der Versenkung verschwunden. Die Kunden kaufen nicht ein technisches Format, sondern die Möglichkeit, überall zu jeder Zeit ihre Musik verfügbar zu haben. Fraunhofer verdient heute immer noch mit dem MP3-Format, aber reich geworden damit ist Apple. Der Benefit, also der Nutzen für den Endkunden, schafft am Ende Wohlstand und Arbeitsplätze in der Gesellschaft.
Schmieder: Es ist übrigens nicht so, dass Amerika uns in diesem Bereich generell überlegen ist. Facebook etwa wurde in Harvard an der Ostküste gegründet. Solange es dort war, war es nicht mehr als StudiVZ in Deutschland. StudiVZ hat es nicht geschafft, seine Idee zu skalieren. Als Mark Zuckerberg mit Facebook dann an die US-Westküste ins Silicon Valley gegangen ist, hat er es geschafft, das Wachstum drastisch zu beschleunigen und andere soziale Netzwerke wie eben StudiVZ plattzumachen.
Was konkret hat Facebook an der Westküste verändert? Geht es um weiche Faktoren wie Storytelling, um neue Ziele oder neue strategische Partner?
Schmieder: Grundlegend anders am Valley ist das „Growth Mindset“. Alles wird auf die Frage hin durchleuchtet, wie und wodurch sich etwas am besten skalieren lässt.
Was fehlt uns in Deutschland, um Märkte zu transformieren, so wie es Apple oder Tesla machen?
Dorn: Es geht nicht darum, das Silicon Valley in Deutschland zu kopieren. Das würde nicht funktionieren. Wir wollen das Beste aus beiden Welten zusammenbringen. Und im Valley ist auch nicht alles super. Wir können aber viel lernen, wenn wir nach Kalifornien blicken, insbesondere den Transferhunger: Wie kriege ich meine Erfindung möglichst schnell in den Markt, auch wenn sie noch nicht voll ausgereift ist? Und wie werde ich mit einem durchschnittlichen Produkt Weltmarktführer?
Das passt aber so gar nicht zur deutschen Denke, zum Streben deutscher Ingenieure nach Perfektion und zur Investitionskultur von Banken, die auf Basis konservativer Businesspläne Kredite vergeben.
Dorn: Der bisherige europäische Businessplan hat ausgedient. Im Silicon Valley wird völlig anders kalkuliert, laufen Investitionsentscheidungen anders ab.
Schmieder: Die Investitionskultur in Deutschland wird sich ändern, aber dazu müssen sich zunächst die Gründer verändern. Die sind ja in der Regel auch zu sehr auf ihre Invention fokussiert, und zu wenig auf die Innovation.
Wie lautet konkret die Alternative zum deutschen Businessplan?
Dorn: Kundenfokussierung! Der Kunde muss, ganz nach Vorbild des Silicon Valley in den Fokus rücken. Und damit ist nicht Kundenservice oder dergleichen gemeint, sondern sich in die Lage von zukünftigen Kunden und Nutzern versetzen zu können. Wenn ich deren Probleme verstanden habe und eine passende Lösung gefunden habe, für die Kunden bereit sind zu zahlen, habe ich eine Business Opportunity. Entscheidend an dieser Stelle ist es, in der Lage zu sein, eben jene Dinge „beweisen“ zu können – mit Kundenfeedback, durch erste Nutzer und Käufer. Das ist die wirkliche Bestätigung meiner Business Opportunity. Das heißt es nun in die Sprache eines Investors zu übersetzen. An die Stelle eines Businessplans treten also Kennzahlen, mit welchen ich belegen kann, dass ich Kenntnis vom Markt, dessen Umfeld und vor allem seinen Nutzern habe.
Was für Kennzahlen können das sein?
Dorn: Das ist in der Tat die Schlüsselfrage! Die Antwort darauf mag trivial klingen: Das beantworten die Kunden! Zugleich ist es aber mitunter sehr komplex und von Innovation zu Innovation unterschiedlich. Es gibt übliche Verdächtige, mit welchen man ein gutes Stück vorankommt wie Customer Lifetime Value oder Customer Acquisition Cost, um nur zwei Schlagworte zu nennen. Wer allerdings in der Lage ist, argumentativ schlüssig darlegen zu können, warum er diese und jene Kriterien untersucht – und was die Ergebnisse sind, und warum er andere, eventuell offensichtliche Kriterien außer Acht lässt, der kann seine Business Opportunity erklären. Was sich wie die Quadratur des Kreises anhört, bedarf „lediglich“ Marktkenntnis und Problemverständnisses der Nutzer einerseits und der Übersetzung in „Investoren-Sprech“ andererseits. Architect your Venture nennen das die Amerikaner; und genau das lehren und lernen wir den Teams in unserem Silicon Valley Program.
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Wer muss sich zuerst ändern: Gründer, Investoren, Banken oder gar die Politik?
Dorn: Zuallererst liegt es an den Gründern, sich zu ändern. Wenn die ein gutes Angebot machen, schafft das eine Nachfrage. Sie sollten nicht auf die Banken warten, und schon gar nicht darauf, dass die Politik die Rahmenbedingungen ändert.
Schmieder: Wer eine Idee hat, und die umsetzen will, der muss von Anfang an mitdenken, wie er damit am Markt erfolgreich sein kann. Aber deshalb müssen auch Berater und Mentoren anders auf den Innovationsprozess schauen. Das sind zu oft Blinde, die mit Einäugigen arbeiten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Gründerzentren leisten einen sehr wichtigen Beitrag für die Gründerkultur in Deutschland. Aber wenn es um die Transformation einer Idee in ein Produkt geht oder gar darum, nach zwei oder drei Jahren in eine neue Phase der Beschleunigung zu kommen, hören diese Programme auf.
Was konkret muss sich in Deutschland ändern, zum Beispiel in der Ausbildung?
Dorn: Zunächst: Was wir nicht verlieren dürfen, ist unser solides deutsches Ingenieurskönnen. Aber trotzdem muss sich auch die Ausbildung ändern. Erfolgreiche Gründer wissen, wie sie ihre Ideen präsentieren und darstellen können, und sie denken das bei der Umsetzung mit. Die Fähigkeit zur Kommunikation gehört in Amerika generell zu Ausbildung, schon in der Schule. Im Silicon Valley kommt dann noch eine Denke dazu, die darauf abzielt, ein Produkt möglichst schnell besser und größer zu machen. Es geht nicht um die besten Features, sondern um Geschwindigkeit.
Die Politik, etwa in Bayern, setzt auf mehr Lehrstühle und mehr Geld für Forschung im Bereich Künstliche Intelligenz und neue Technologien. Wenn ich Ihrer Argumentation folge, müsste das gar nicht sein, stattdessen müsste Unternehmertum gelehrt werden, oder?
Schmieder: Was Ministerpräsident Söder in Bayern macht, ist fantastisch, aber es reicht nicht. Wir folgen leider zu oft einer typisch deutschen Denke, arbeiten technologie- und produktfokussiert statt marktorientiert. Die gleiche Summe Geld, die in technische Entwicklungen, in Ingenieurs-Lehrstühle und Technologieforschung fließt, muss in das Wissen über und die Umsetzung von Marktentwicklungen gehen. Nur dann kann es gelingen, zum Silicon Valley aufzuholen.
Aber Lehrstühle für Management und Betriebswirtschaft gibt es doch in großem Umfang.
Schmieder: Es ist aller Ehren wert, was an deutschen Universitäten und Fachhochschulen im Bereich Entrepreneurship geforscht und gelehrt wird. Ein Mangel herrscht aber darin, durchzudeklinieren, wie Gründungen erfolgreich werden. Das führt dazu, dass zu wenig Kapital in neue Ideen fließt. Das Geld für Investitionen sollte allerdings auch nicht von politischer Seite kommen, der Staat ist eher ein schlechter Investor. Aber er kann helfen, Geld zu mobilisieren.
In Frankreich will Präsident Macron bis 2025 die Zahl der Einhörner von heute vier auf dann 25 steigern, und dafür will er institutionelle Investoren überzeugen, fünf Milliarden Euro in Tech-Unternehmen zu investieren. Ist das ein Erfolg versprechender Weg?
Schmieder: Wenn Präsident Macron das hinbekommt, ist das ein sehr großer Erfolg. Es geht in der Spätphase der Gründung darum, aus guten Unternehmen großartige zu machen, das Wachstum zu beschleunigen, von good zu great. Macron scheint das verstanden zu haben.
Von Ostbayern an Amerikas Westküste
Deutscher Erfinderreichtum soll amerikanisches Marktmanagement treffen. Das ist das Ziel des Silicon Valley Program an der Technischen Hochschule Deggendorf, das Prof. Peter Schmieder vor neun Jahren initiiert hat. Der Theologe verantwortet an der niederbayerischen TH das Lehrgebiet „Human Skills Management“, das Programm führen die Deggendorfer zusammen mit der kalifornischen Santa Clara University durch. Das Ziel: Den traditionsreichen bayerischen Mittelstand fit zu machen für das digitale und globale Zeitalter. Die Firmen sollen lernen, Ideen nach kalifornischem Start-up-Vorbild voranzutreiben.
33 Gruppen hätten bisher ihre Ideen in Kalifornien vor Investoren präsentiert, berichtet Schmieders Kollege Alexander Dorn. Dabei stehe nicht im Fokus, in Kalifornien direkt Gelder einzusammeln, sondern zu lernen, wie ein Start-up erfolgreich wird. 28 dieser Gruppen, die dort einst präsentierten, seien heute erfolgreiche Unternehmen. Es gehe darum, US-Westküsten-Spirit nach Ostbayern zu bringen.